Zwei Erzählebenen. Ein unglaubliches Debüt. So könnte man diese Graphic Novel um Javi, den jugendlichen Schuldeneintreiber und Jorge, dem Schreiner zusammenfassen. Und doch steckt noch viel mehr in dieser Geschichte um Adoleszenz und Schuld. „Es ist das Theater des Lebens und des Todes, das alte Schauspiel mit den klassischen Darstellern, bei dem jeder Mann und jede Frau eine Maske trägt, die früher oder später fallen muss“, schrieb der Autor einer James Joyce Biographie, Alfonso Zapico, über vorliegende Graphic Novel, die die Grenzen der menschlichen Existenz weit auslotet. Und auch das Mitleid für seine Protagonisten.
Männer ohne Heimat
Denn natürlich geht es in „Wie zerknülltes Papier“ auch um die Liebe, die bedingungslose Liebe einer Mutter zu ihrem Kind oder einer Frau zu ihrem Mann. Die Männer sind in dieser Geschichte unfähig zu lieben und unfähig zu trauern. Sie erscheinen fast wie Schablonen. Nur Arturo, der Schreinerkollege von Jorge, scheint da eine Ausnahme zu sein, denn er schläft abends glücklich mit seiner Frau auf dem Sofa ein, obwohl sie eigentlich noch Sex haben wollten. Geradezu entblößend wirkt die Charakterisierung der Zimmerwirtin von Jorge, die sich in ihn verliebt und schon nach der ersten Nacht mit ihm von einem gemeinsamen Leben träumt. Sie trinkt sich einen Schwips an und redet ununterbrochen und Jorge hört sich das alles an und tut was von ihm als Mann verlangt wird. Aber sein Herz ist nicht dabei.
Jung&Alt
Der junge Javi, der noch bei seiner alleinstehenden Mutter lebt, schlägt sich durch kleinkriminelle Jobs durch’s Leben, er will aber eigentlich auch nur seiner Mutter beim Überleben helfen, denn seit sie von ihrem Mann und seinem Vater verlassen wurde, ist sie nicht mehr dieselbe. „Weißt du was? Manchmal fühlt es sich an, als ob jeder mit mir macht, was er will. Als wäre ich zerknülltes Papier“, sagt Javi an einer Stelle. Er ist noch jung, und hat das ganze Leben noch vor sich. Und endlich will auch er sein Leben ändern, und ein richtiges Leben beginnen, es selbst in die Hand nehmen und nicht mehr in die Hand genommen und zerknüllt werden.
Wer nicht spricht, der hat meistens etwas zu verbergen. Nadar nimmt seine Leser auf eine Reise mit, aus der es ein erschreckendes Erwachen gibt. Und auch wenn Javi am Ende die Klaviersonate Nr. 14 op 27 Nr.2 in cis-Moll „Quasi una fantasia“ live in einem Konzertsaal hört, lässt einem die Auflösung der Geschichte den Atem stocken. Denn das, was Jorge zu erzählen hat, erklärt auch sein langes Schweigen.
Nadar
Wie zerknülltes Papier
avant-verlag, 394 Seiten
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2015-11-20)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.