Zu Beginn des Buches muss Emmeran, die Hauptfigur der Geschichte, miterleben, wie sein Neffe Johannes, sein Liebling, der einzige Mensch, mit er unverkrampft Umgang hat, einen Unfall erleidet.
Beim gemeinsamen Holzschlagen stolpert der Jung und fällt mit der Stirn in die noch laufende Motorsäge in Emmerans Hand.
Auch am Ende des Buches, im vorletzten Kapitel, muss Emmeran (nun gemeinsam mit Katja, mit er sich im Lauf des Buches in zarten Liebensbanden verfangen hat), Johannes retten. Der Jung, als Rekonvaleszent auf dem elterlichen Hof, von seinen Geschwistern allein gelassen, hat Alkohol und Medikamente zu sich genommen.
Beide Male wird Johannes gerettet, beide Ereignisse verzahnen eine Geschichte aus dem dörflich-bäuerischen Lebensraum. So, wie gerade die handelnden Männer mit schweren Schritten durch ihre Höfe, zum Vieh oder zur Wirtschaft gehen, in solch langsamen, bedachten, teils schweren Schritten legt Christian Lorenz Müller das Sprech- und Erzähltempo seiner Geschichte an.
Emmeran, seine Hauptfigur, lebt auf dem Hof seines Bruders und dessen Frau, kümmert sich um die Tiere, ist gern allein mit sich. Sein kleines Zimmer reicht ihm, auch im Blick auf den Rest seines Lebens. Doch weder tumb noch einfältig betrachtet er die Welt. Seine Zurückgezogenheit, sein Schweigen hat einen Grund in einem schrecklichen Geschehen in seiner Familie. Nicht umsonst ist es eine seiner Lieblingsbeschäftigungen, Holzmasken zu schnitzen. Masken, hinter denen sich verbergen kann, was nicht nach außen dringen soll.
Bilder, Anklänge an das Geschehene, aktuelle Ängste, all das dreht und wendet sich in seinen Gedanken, an denen Müller uns in intensiver Form teilhaben lässt.
Und all dies ändert sich nun. Zum einen durch den Unfall des Johannes, der in Emmeran eine Blockade löst, freier und freier erinnert er sich an die dramatischen Vorgänge. Und zum anderen durch Katja, eine junge Frau, in die er sich verliebt und die sich, ebenso langsam und bedacht, ihm zuwendet.
Je mehr aber die inneren Erstarrungen abfallen und das Schweigen sich löst, desto schwieriger wird die äußere Situation, denn so manche in seiner Familie und im Dorf sind beteiligt gewesen, zumindest Mitwisser und haben sich ebenfalls für das Schweigen entschieden.
Christian Lorenz Müller wendet das Thema Schuld und Schweigen, den Blick auf feste, autoritäre Familienstrukturen und die ebenso undurchdringliche Schweigemauer der dörflichen Gemeinschaft in der Person des Emmeran eindrucksvoll hin und her. Neben Emmeran ist es ihm gelungen, auch seine anderen Protagonisten wiedererkennbar und mit klaren Schattierungen zu entwerfen. Der Bruder, der alles nur erhalten möchte, die Schwägerin, die schon wüsste, aber nicht spricht und darunter fast erdrückt wird. Der autoritäre, selbstherrliche Vater bis hin zur Gesellschaft im Wirtshaus mit ihren wilden Geschichten sind die Personen lebensnah, fast bedrängend nahe kommend, geschildert.
In bildhafter, teils fast poetischer Sprache nimmt der den Leser mit hinein in einerseits die Innenwelt des Emmeran, die nach Freiheit und Entschuldung drängt und andererseits die enge, in Traditionen und Verhaltensweisen fest gemauerte, dörflich-bäuerische Welt, in der alles seit Ewigkeiten seinen Platz zu haben scheint und nichts sich verändern darf. Sei es auch um den Preis ungesühnter Schuld.
Die langsame Lösung dieser Starre bis hin zu den letzten Seiten des Buches ist es, die dem Buch eine ganz eigene, innere Entwicklung und Spannung geben.
Keine einfache, leicht zu lesende Geschichte, aber ein hervorragendes Psychogramm erstarrter Strukturen und festgefahrener Lebensweisen.
[*] Diese Rezension schrieb: Michael Lehmann-Pape (2010-09-24)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.