Irgendwann in vielen Jahren wird man (hoffentlich), wenn man darüber nachdenkt und schreibt, wie es gekommen ist, dass der Islam durch eine Art innerislamische theologische „Reformation“ in der Neuzeit angekommen und die Wesenskerne seiner Botschaft geschieden und gereinigt hat von dem Jahrhunderte langen Missbrauch durch Mullahs und Herrscher, auch von diesem hier vorliegenden Buch sprechen.
Geschrieben hat es der 1971 in Beirut geborene und in Saudi-Arabien aufgewachsene Mouhanad Khorchide. Er hat islamische Theologie und Soziologie in Beirut und Wien studiert und dort auch mit einer Studie über islamische Religionslehrer promoviert.
Es war nicht zuletzt diese Arbeit, wegen der man ihn 2010 zum Professor für Islamische Religionspädagogik an die Universität in Münster berufen und ihn 2011 mit der Leitung des dortigen Zentrums für Islamische Theologie betraute.
Was er mit diesem Buch beabsichtigt, nämlich eine zeitgenössische islamische Theologie zu begründen, ist aus der Sicht des Rezensenten, der ev. Theologe ist, nur zu begrüßen und wird, so hoffe ich, nicht unwesentlich zu einem neuen Dialog zwischen Islam und Christentum betragen.
Khorchide beschreibt es so: „In diesem Buch möchte ich die Theologie der Barmherzigkeit als Alternative zu einer in der islamischen Welt sehr verbreiteten Theologie des Gehorsams und der Angst auf eine einfache und auch für Laien verständliche Weise darlegen. Ich sehe im Islam eine Botschaft der Barmherzigkeit, die von einem absolut barmherzigen Gott ausgeht. Mein Ziel ist es, dieses Bild vom Islam als Angebot an Muslime zu richten, die bereit sind, ihren Glauben zu reflektieren, und die offen für Antworten sind, die sie bisher nicht kannten. Wer es ernst mit dem Glauben meint, der muss, meine ich, für jeden Gedanke offen sein, auch wenn dieser Gedanke im ersten Moment ‚anders’ als gewohnt klingt.“
Eine Wahrheit, die so finde ich, auch für Christen und Juden in der jeweilig nötigen Auseinandersetzung mit ihren eigenen Traditionen gilt. Denn „das Buch richtet sich auch an Menschen, die ein stark verzerrtes Bild vom Islam haben, das einer restriktiven und gewaltbereiten Religion. Auch diese Leser haben hier die Möglichkeit, einen neuen Islam kennenzulernen: einen, der nicht nur mit Demokratie und Menschenrechten vereinbar und bemüht ist, einen Beitrag zu einem konstruktiven Miteinander aller Menschen zu leisten, sondern der auch den Wert des Menschen als würdevollstes Geschöpf Gottes betont, unabhängig davon, welche Weltanschauung der einzelne Mensch haben mag.“
Möge dieses wichtige Buch, dem hoffentlich noch viel weitere folgen, die muslimischen und die christlichen Leser befähigen, ernsthafter, tiefer und kritischer sich auseinanderzusetzen mit ihrem eigenen Glauben. Denn nur wer weiß, was er glaubt, was ihm unverzichtbar wichtig ist, der ist überhaupt fähig, jenen viel beschworenen Dialog zu führen, den auch unsere säkulare Gesellschaft für ihren inneren Frieden dringend braucht.
Und so kann das Buch auch jene Menschen befreien von Vorurteilen und falschen Einschätzungen besonders das Wesen des Islam betreffend, die für ihr eigenes Leben keine religiöse Fundierung brauchen, dennoch sich aber für ein friedliches und demokratisches Zusammenleben aller Bürger einsetzen.
Mouhanad Khorchide, Islam ist Barmherzigkeit. Grundzüge einer modernen Religion, Herder 2012, ISBN 978-3-451-30572-6
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2013-05-29)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.