„You’d better buckle up, cause you’re not ready for this!“, meinte Kurts Mutter Wendy zu ihrem Sohn, als sie das erste mal „Smells like teen spirit“ gehört hatte. Sie wusste wohl schon, dass ihr Sohn den Höhenflug des bevorstehenden Erfolges nicht überleben wird. Sie hatte recht behalten. Nach seinem Tod soll sie dann auf die furchtbare Nachricht seines Suizids in einer ersten Reaktion „Now he joined the Stupid Club as well“ gesagt haben.. Sie spielte damit auf den frühen Rock-’n’-Roll-Tod eines Jimi Hendrix, Jim Morrison und einer Janis Joplin an, die alle im Alter von 27 Jahren – am Höhepunkt ihrer Karrieren – schon den Drogentod gestorben waren. Zwischen diesen beiden Zitaten liegt die steile Rockkarriere eines „lil’ dude that never got laid“, wie sie die Welt zuvor noch nie gesehen hatte.
Vom support act ins Stadion
1990 hatten sie im Warfield in San Francisco noch als Vorband (!) von Sonic Youth gespielt, wenige Monate später hätten sie Fußballstadien füllen können, wenn das PC gewesen wäre. „Ich hoffe, ich sterbe, bevor ich Pete Townshend werde“, meinte Kurt Cobain ironisch einmal eingedenk der Losung der The Who: „I hope I die, before I get old“. Letzteres gelang dem Sänger der Grunge-Band in jedem Fall, auch wenn er sich das Gitarrenzertrümmern auf der Bühne von Townshend abgeschaut hatte. Grunge – die neue Jugendbewegung aus Seattle war so etwas wie eine Mischung aus Hippies und Metalfans, denn einer der Mentoren des neuen Stils war Buzz Osborne von den Melvins, die wiederum große Fans von The Kiss waren. Aber musikalische Stilvorbilder zu haben ist ja für Musiker nicht unbedingt etwas Schlechtes, denn killen sollte man ja nur die Idols („Kill your idols“), die keine Kollegen waren. „Das Leben ist nicht annähernd so heilig wie der Sinn für Leidenschaft“, notierte Kurt einmal in seinem Tagebuch.
Im Namen der Familie
Mitunter fühlte er sich aber bald als Schauspieler abgetragener Gefühle und verzweifelte an seinem eigenen Nicht-Genug-Verzweifelt-Sein: „Ich bin nicht so verbittert, wie ich es gern wäre“, notierte er andermal und weiter: „Wenn ich noch mal darüber nachdenke, habe ich vielleicht nur versucht, der Welt mitzuteilen, wie sehr ich mich liebe. Wie ein Scheinheiliger im Heiligenschein.“ Laut dem amerikanischen Wirtschaftsmagazin Forbes.com gehört der Platz 1 der am besten verdienenden Toten immer noch Kurt Cobain. Das Erbe, das täglich anwächst wird auf weit über 100 Millionen Dollar geschätzt und sowohl seine Ehefrau Courtney Love als auch die gemeinsame Tochter Frances Bean sowie die ehemaligen Nirvana-Bandmitglieder Grohl und Novoseli? verdienen daran und könnten eigentlich längst in Pension gehen. Die Rock-Dokumentation Montage Of Heck kam im Frühjahr 2015 in die Kinos und zeigte jene, die Kurt Cobain am nächsten standen und somit sein tragisches Schicksal mittragen mussten. Der Regisseur Brett Morgen hatte seinen Auftrag von Kurts Witwe Courtney Love persönlich bekommen und Kurts Tochter Frances Bean Cobain produzierte „Montage Of Heck“ mit. Brett Morgen kam so in den Genuss ganz private Quellen, ein Privileg, das sicherlich nicht vielen Dokumentarfilmern zuteil wird. Dazu zählen u.a. Videofilme aus Kurts Kinderzeit, seinen Zeichnungen, Briefen und Tagebüchern, bisher unveröffentlichten Songtexten und vielen Fotos. „Die intimste Rock-Dokumentation aller Zeiten“, urteilte der Rolling Stone über den Film und Koch International/Hannibal haben zur Nachlese das vorliegende Begleitbuch zum Film 2016 veröffentlicht.
Intimes Material eines toten Rockstars
Brett Morgen führte extra für den Film Interviews mit „Kurts engsten Vertrauten“ und so finden sich auch in vorliegender Publikation neben vielen Bilddokumenten Gespräche mit „Menschen, die ihn während seines ganzen Lebens gekannt und begleitet haben – seine Mutter, sein Vater und seine Stiefmutter, seine Schwester, sein bester Freund, seine erste große Liebe und seine Frau. “Im Archiv der Familie hat der Regisseur Ölgemälde, 4000 Tagebuchseiten und einen Karton mit mehr als 200 Stunden verschollenem Audiomaterial auf Tonbandkasetten gefunden, die bearbeitet werden mussten, aber auch Home-Movies, Super-8-Filme und Spielzeug, das Kurt als Erwachsener sammelte, darunter auch die Duracell-Affen, die die ersten Seiten des vorliegenden Buches schmücken. Morgen will Kurt durch seine Kunst der Welt offenbaren und natürlich enthält das Buch auch viele Passagen, die im Film aus verständlichen Gründen nicht untergebracht werden konnten. Illustriert sind diese Lebensbeichten mit einer enormen Fülle von Bildmaterial, das neben vielen Nirvana-Fotos vor allem private Schnappschüsse aus Kurts Familienalbum sowie seine Collagen und Zeichnungen umfasst und dadurch einen tiefen Einblick in das Leben des Menschen und Musikers Cobain vermittelt. Es steht im Raum, ob Montage of Heck eine Auftragsarbeit für die Familie resp. Courtney Love ist, um sich vom Vorwurf, am Tod von Kurt schuldig zu sein, rein zu waschen.
Brett Morgen/Richard Bienstock
Montage of Heck
Die Lebens-Collage des Kurt Cobain
Übersetzt von Borchardt, Kirsten
Koch International/Hannibal
ISBN: 978-3-85445-492-2
2015,176 Seiten, Hardcover
Format: 23 x 19
ISBN 978-3-85445-492-2
29,99 EUR
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2017-02-16)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.