Inge Morath
Donau – Danube
Zweisprachig
Mit einem Essay von Karl-Markus Gauß
2008
Edition Fotohof im Otto Müller Verlag www.omv.at
145 Seiten
ISBN: 978-3-701-309-160
44.-
Von Jürgen Weber
Weder gibt es Klarheit darüber wo sie genau entspringt, die Donau, noch wo sie genau in das Schwarze Meer fließt. Die beiden deutschen Ortschaften Donaueschingen und Furtwangen streiten sich seit Jahrzehnten darum, die Quelle der Donau zu beherbergen, während am anderen Ende des Flusses es zumindest sieben Mündungen gibt. Der Sulina-Kanal hat eine heilige, eine träge, eine schöne, ein falsche, eine nördliche, eine enge und eine geschlängelte Mündung, wie Sigmund von Birken aus Pegnitz 1684 in seinem Werk über die Donau vermerkte.
Einigkeit herrscht hingegen darüber, dass die Donau fast 3000 km lang ist und zehn Staaten verbindet, die außer dem Fluss wohl nicht mehr sehr viel gemeinsam haben. Darauf weist auch Karl-Markus Gauß in seinem einleitenden Essay hin und verwahrt sich zugleich gegen k.u.k.-Nostalgie wie gegen die Nationalstaatenidee, die diesem Flecken Erde so grausame Wunden geschlagen hat. Der Donauraum biete in Wahrheit „gerade keinen einheitlichen, sondern einen wunderlich uneinheitlichen Kulturraum, der durch eine frappante Gleichzeitigkeit des Gegensätzlichen geprägt ist“. Den Gegensatz verschärft Gauß auf eine Computeringenieurin in Passau und einen Brackwasserfischer des Donaudeltas, die selbst wenn man den Universalismus eines Bela Bartok bemühen würde, tatsächlich nichts gemeinsam hätten. An der Donau hätten seit jeher die verschiedensten Völker gesiedelt und Gauß weiß sie auch tatsächlich alle aufzuzählen, darunter finden sich nicht nur die Schokatzen und Bunjewatzen, sondern Serben, Kroaten, Pomaken, Bulgaren, Lippowaner, Ungarn, Rumänen, Deutsche und Österreicher. Der Hass auf den Nachbarn sei im Donauraum zumeist auch ein Selbsthass, schreibt Gauß, denn in all diesem Völkergemisch, gebe es keine reine nationale Identität, sondern hauptsächlich Hybride. Diese uneindeutige Identität hätten sich Politiker zu Nutze gemacht, von ethnischen Säuberungen geträumt und träumen lassen, um sich selbst an der Macht zu halten. Dabei sei eben gerade „ihr multinationaler Charakter“ der „Segen“ der Donau, allen nationalistischen Tendenzen der Politiker der Region zum Trotz.
Inge Morath, die wohl bekannteste österreichischen Fotografin, die nicht nur für Magnum arbeitete und mit Arthur Miller verheiratet war, erzählt in ihrem Nachwort, wie die Donaufotografien zustande gekommen sind, denn eine einzige Reise, reichte bei weitem nicht aus. So erklären sich auch die verschiedenen Datierungen der Fotos, einige sind von 1959 oder dann wieder 1995. Dank des Otto Müller Verlages konnte die Fotografin nämlich fehlende „Puzzleteile“ noch nach der Wende nachholen oder einige Orte sogar ein zweites Mal besuchen. Zuvor hatte sie nicht nur gegen die Mühlen der kommunistischen Bürokratie gekämpft, sondern auch verschiedene andere Schwierigkeiten zu bewältigen gehabt. Ihre Fotos sind teilweise in S/W und Farbe und zeigen einen Strom, der in seinem Fluss so manche Metamorphose mitmacht und dessen Anwohner doch alle eines gemeinsam haben: in der einen oder anderen Weise leben sie alle von der Donau. „Leben“ auch im Sinne ideologischer, nicht-materieller Natur, denn der Fluss spielt in den meisten nationalen Mythen eine wichtige Rolle. An ihm befinden sich nicht nur Weinberge, Fabriken und Kraftwerke, sondern auch prächtige Schlösser und Burgen, wie etwa die Festung Smederevo in Ex-Jugoslawien. Andere Fotos zeigen aber nicht nur den Fluss, sondern auch die nationalen Feste und Traditionen, wie etwa eine Landhochzeit, eine fahrende Musikantenkapelle oder rumänische Trachten. In Nikopol, Bulgarien, wird das Andenken an den ersten Widerstand des katholischen Europa gegen die Türken auch heute noch hochgehalten und das ist vielleicht etwas, was alle Donauanwohner gemeinsam haben, dass sie sich zwischen österreichischem und osmanischen Reich zerrieben sahen.
Friedrich Hölderlin hätte den Fluss der Donau gerne umgedreht. Tatsächlich beginnt der Kilometerstein „0“ am Schwarzen Meer und nicht im Schwarzwald, wie Inge Morath schreibt. Hölderlin, der den deutschen Norden hasste, wünschte sich eine Befruchtung aus dem südlichen Hellas, sodass die helle, griechische Kultur gleichsam vom Schwarzen Meer nach Deutschland fließe und dieses befruchte. Für Hölderlin begann der Strom in Finsternis und Enge, in der dunklen nordischen Kultur, um ins Helle, zum Licht zu fließen, er rühmte ihn als „melodischen Fluss“, von dem er gerne die Melodie des freien, stolzen Hellas vernommen hätte, statt von kleingeistigen Fürsten geknechteten deutschen Marschesliedern. Aus diesem Grund wollte er den Fluss des Stromes umdrehen, um vom Ende her befruchtet zu werden. Vielleicht sind Inge Moraths Fotografien der erste Schritt zu begreifen, dass auch wir etwas lernen können, vom anderen Ende der Donau, und viel mehr von seinem Fluss...
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2009-02-06)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.