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Rezensionen


 
Georg Misch - Calling Hedy Lamarr

Eine leidenschaftliche Telefoniererin soll sie gewesen sein, diese Hedy Lamarr, die quasi als Erfinderin der modernen drahtlosen Telekommunikation gilt. In der vorliegenden Dokumentation, die in guter Zusammenarbeit mit ihrem Sohn, Anthony Loder, entstanden ist, wird dieser Umstand besonders witzig umgesetzt, nämlich indem der Regisseur die wichtigsten Gesprächspartner seines Filmes immer wieder miteinander telefonieren lässt und es dann so schneidet, als würden sie es wirklich tun. Das Prinzip „form follows function“ perfekt umgesetzt, ein Prinzip, das auch Hedy Lamarrs Leben in vielerlei Hinsicht prägen sollte, als Schauspielerin und Erfinderin.

„Hedy, the shoplifter“
Die Lebensgeschichte von Hedy Lamarr ist gekennzeichnet von Missverständnissen und Widersprüchen, ja sogar Verleumdungen: Nicht nur ihre Autobiographie „Ecstasy and me“ wurde von einem Ghostwriter verfasst, der sie auf ein sexhungriges Flittchen reduzierte, sondern auch ihre Rolle in dem Film „Hedy“ (auch: „Hedy, the shoplifter“) wurde mit einem Transvestiten besetzt und sie selbst auf eine geliftete Ladendiebin reduziert. Bei dem Film, der 1966 herauskam, führte Andy Warhol Regie, den Soundtrack dazu hatten Velvet Underground komponiert. Aber Hedy Lamarr war auch eine Erfinderin und Schauspielerin, Antifaschistin und Mutter, denn diese Geschichte erzählt „Calling Hedy Lamarr“ und interviewte dafür viele Personen, die sie noch persönlich kannten. Etwa Hans Janitschek, einen in den USA lebenden österreichischen Journalisten, der erzählt, wie Hedy Lamarr ihn besonders gerne nachts angerufen habe. Auch ihre Tochter Denise wurde oft durch frühmorgendliche Anrufe ihrer Mutter von ihrer Arbeit abgehalten. Sie sei sozusagen „mit dem Telefonbuch auf dem Bauch und dem Telefonhörer in der Hand“ gestorben, so ihr Sohn Anthony. Die letzten 20 Jahre ihres Lebens soll sie ohnehin nur mehr telefonierend verbracht haben, bis zu sieben Stunden pro Tag. Ob sie dabei wohl ein Schnurlostelefon benutzt hatte? In einer Art amerikanischen Robert Lembke Beruferaten-Show, die Georg Misch wohl aus dem Fundus Loders ausgegraben hat, wird die ältere Hedy Lamarr auf Anhieb von ihren amerikanischen Mitspielern als die berühmte Schauspielerin, die sie offensichtlich war, erraten. Aber sie war noch viel mehr als nur das!

Hedy, a Viennese Mata Hari?
Die geborene Wienerin hatte als junges Mädchen den wichtigsten Waffenschieber Österreichs geheiratet, der zuerst als Austrofaschist und dann im Bunde mit den Nationalsozialisten gute Geschäfte mit dem Krieg gemacht hatte. Als Ehefrau dieses Herrn, hatte Hedy wohl einige der wichtigsten Politiker jener Zeit beim Dîner in deren Hause kennengelernt, einige sagten ihr sogar eine Affäre mit Stauffenberg nach, andere betonen immer wieder, dass sie eben schon sehr früh vielerlei Erfahrungen gesammelt habe, aber nicht nur sexuelle. So könnte es passiert sein, dass sie einige wichtige Informationen für ihre spätere mit dem Komponisten Georges Antheil entworfene Erfindung auf diesem Wege erfahren hatte und sie so bald dem US-amerikanischen Militär zur Verfügung stellen konnte. 1941 hatte sie das Patent schon angemeldet, doch es verstaubte in den Schubladen des US-Militärs, bis es in der Kuba Krise wieder ausgegraben wurde. Dieses Mal aber nicht zur Torpedo-Abwehr, sondern als Grundlage für die moderne Telekommunikation, denn die Erfindung des „frequency hopping“ hätte Lamarr nicht nur zur schönsten, sondern wohl auch reichsten Frau der Welt machen können. Nur leider war das Patent inzwischen schon abgelaufen und Lamarr später wegen Ladendiebstählen mehrmals vor Gericht gewesen. „I have not been that wise. Health I have taken for granted. Love I have demanded perhaps to much and too often. As for money, I have only realized its true worth when i didn’t have it.“ Eine tragische Figur epischen Ausmaßes also?

Hedy, the catwoman
Die Frau, die von MGM-Boss als „schönste Frau der Welt“ bezeichnet worden war und u.a. als Vorbild für unzählige Pin-Ups, den Androiden aus Blade Runner oder für Catwoman gedient hat, war nach ihrem 35. Lebensjahr wie so viele andere Schauspielerinnen mehr oder weniger vom Studio gept worden. Sie hatte zudem auch noch einen ziemlichen „Affen auf dem Buckel“, nämlich eine hochgradige Tablettensucht. Man müsse sich das Leben der damaligen Stars viel weniger glanzvoll vorstellen, als gemeinhin angenommen, so ihre Tochter. Lamarrs Arbeitsalltag begann meist um fünf Uhr morgens, wenn sie von ihrem Wohnort abgeholt wurde und mit Uppers versorgt wurde. Nach einem mehr als 12-stündigen Arbeitstag wurde sie wieder nach Hause gefahren, nicht ohne ihr vorher eine gehörige Portion Downers zu verpassen, denn sie sollte am nächsten Tag ja ausgeschlafen sein und nicht nächtelang durchfeiern, erzählt ihre Tochter Denise aus dem Leben ihrer berühmten Mutter und wohl unzähliger anderer Hollywood-Stars. Hedy Lamarr war sicher nicht die einzige Toxikomane Hollywoods, doch durch ihre Besuche bei Dr. Feelgood half sie ihrer Sucht sicherlich noch ein kleines bisschen nach. Ihre Kinder bekamen sie ohnehin kaum zu Gesicht, worunter sie offensichtlich auch heute noch leiden, auch das zeigt die einfühlsame Dokumentation „Calling Hedy Lamarr“ von Georg Misch.

Hedy, all over Vienna!
„Beauty is a demon and a curse“ soll die Schauspielerin, die sich schon mit dreißig Jahren habe liften lassen, einmal gesagt haben. Die Zeit ihres Lebens homesick for Vienna fühlende wohl größte Tochter ihrer Heimat schaffte es lebend leider nie mehr ganz nach Europa. Ihre sterblichen Überreste, ihre Asche, werden im Film über den Weinbergen Wiens verstreut und man denkt unweigerlich an die Szene von Big Lebowski und paraphrasiert die Worte „Mom’s now all over me“, jedenfalls „all over Vienna“. Die schönste Frau der Welt hätte auch eine moderne Mata Hari sein können, eine Spionin im Dienste des Kampfes gegen den Nationalsozialismus, phantasiert Hans Janitschek am Ende der Dokumentation, doch ihre Tochter widerspricht: „I never had the feeling that she was hiding anything“ und am Ende mischt sich sogar Hedy Lamarr selbst in die Telefongespräche ein. Heitere Momente wie diese werden abgelöst durch die Trauer ihres Sohnes Anthony, der immer einen Film über seine berühmte Mutter drehen wollte und es leider nie schaffte: Er arbeitet ausgerechnet in einem Telefonunternehmen. „Calling Hedy Lamarr“ ist aber vielleicht ein bisschen doch auch jener Film geworden, von dem er immer schon geträumt hatte.

Calling Hedy Lamarr
Georg Misch
72 min
www.mischief-films.com

[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2013-04-22)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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