Die Djinns sind eigentlich Geister, „reiner“ Geist sozusagen und wer an einem Leben nach dem Tod glaubt, wird zugeben müssen, dass sie über einen längeren Atem verfügen als die Materie, der Körper oder das einzelne Individuum. „Diese Geschichte beginnt und endet mit dem Körper“, schreibt einer der Autoren, Jean Dufaux im Geleitwort und fügt hinzu, dass der weibliche Körper stets über den Mann den Sieg davon getragen habe. Wohl besonders dann, wenn sich ein mächtiger Djinn in einem begehrenswerten und grazilen weiblichen Körper eingenistet hat.
Die junge, etwas naive und umso hübschere Engländerin Kim Nelson macht sich auf die Suche nach dem Geist ihrer Großmutter, die einmal in Istanbul gelebt haben soll und dort sogar im Harem des Sultans aufgenommen worden war. Anfangs wendet sie sich an etwas zwielichtige Gestalten und kommt so bald in des Teufels Küche, bis ihr der strahlende Retter und Taschendieb Malek aus der Patsche hilft. Doch auch er ist in die Verbrechen der zwielichtigen Geschäftemacher indirekt verwickelt, bringt er Kim doch ausgerechnet zur Puffmutter Fazila, die natürlich – Service is our Success – für Geld alles macht. In der zweiten Zeitebene wird der Leser in das Istanbul des Jahres 1912 entführt, wo er auf die unvergleichliche Schönheit „Jade“ stößt, die als Favoritin des Schwarzen Sultans die Aufgabe hat, einen prominenten Engländer zu verführen, um dadurch politischen Vorteile für das damalige Osmanische Reich herauszuholen. Die Türkei kämpfte im Ersten Weltkrieg bekanntlich an Deutschlands Seite und war nach 1918 von den Alliierten besetzt. Jade ist eine grausame Haremsdame, die auch vor dem Kindesmord ihrer größten Konkurrentin nicht zurückschreckt. Doch die Zeitmaschine des Erzählers wechselt wieder geschickt zu Kim in unsere Jetztzeit, wo sie auf den undurchsichtigen Amin Doman stößt. Aber ist er nicht genau derjenige, der sie von Fazila gekauft hat, obwohl sie nie für sie arbeitete?
Der erste Teil dieses orientalischen Märchens ist geschickt angelegt, die beiden Zeitebenen werden so gut montiert, dass sich das Bedürfnis nach einem schnellen Weiterblättern bald einstellt. Manche Seiten, die im Harem in der Vergangenheit spielen, lassen einen ohnehin so erröten, dass man sich an der Handlung bald umso interessierter zeigt, als dies eigentlich notwendig wäre. Mirailles linearer, ja geradliniger Zeichenstil mag an manchen Stellen vielleicht etwas hölzern erscheinen, wenn er sich jedoch auf die Hamamszenen und den weiblichen Körper konzentriert weiß er zielstrebig die eine oder andere frauliche Rundung einzubauen und voluminös und prächtig die wahre Stärke und Macht der Frau hervortreten. Tatsächlich hat Jade, die Favoritin, nämlich bereits ihre eigenen Pläne gemacht, die weder dem Schwarzen Sultan noch dem Engländer gefallen werden. Aber das muss Kim Nelson bald auf eigene Faust und mit den damit verbundenen Schmerzen selbst herausfinden. Es gibt wohl keine geeignetere Kulisse für dieses moderne Erwachsenenmärchen als Istanbul, das gut zur Geltung kommt und uns die Fortsetzung dieser spannend aufbereiteten Story noch mehr herbeisehnen lässt. Inzwischen gibt es übrigens schon 8 Teile und bald noch mehr, so die Djinns wollen!
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2009-01-30)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.