Dieses sehr persönliche Buch, das der ehemalige Professor für theologische Ethik und Sozialethik an der Universität Tübingen Dietmar Mieth nach dem Tod seiner Frau Irene 2017 sich nun entschlossen hat zu veröffentlichen, ist ein bewegender Bericht und eine nachdenkliche Reflexion über die gemeinsame Zeit, die er mit seiner geliebten Frau Irene verbracht hat, nachdem diese eines Tages im Jahr 2016 die schockierende Diagnose erhält, dass sie an Krebs im fortgeschrittenen Stadium erkrankt ist.
Nach dieser für beide erschütternden Nachricht, scheint eine Operation die letzte Rettung zu sein, doch Irene Mieth entscheidet sich dagegen und stirbt 2017. Dietmar Mieth war anderer Meinung. Er hielt eine Operation für sinnvoll. Die beiden Eheleute führen lange Gespräche, diskutieren, streiten auch über Irenes Entscheidung. In dem nachdenklichen Bericht Dietmar Mieths über diese Gespräche wird deutlich, dass dies den beiden nur möglich war, weil sie schon ihr ganzes Eheleben lang eine innereheliche Gesprächskultur gepflegt und eingeübt hatten.
Am Ende, nach langem innerem Kampf kann Dietmar Mieth die Entscheidung seiner Frau akzeptieren und begleitet sie dann bis zu ihrem Ende. Das Buch, das voller theologischer Reflexionen und Einsichten steckt, von der erlittenen und durchlebten Erfahrung erzählt, ist auf eine sehr direkte Art persönlich. Dietmar Mieth denkt über das Leben und das Sterben nach, reflektiert über Schmerz und die Zerbrechlichkeit unserer Existenz und spricht als gläubiger Christ über die Erfahrung von Hoffnung mitten in schrecklicher Ungewissheit.
Er hat seine Überlegungen ergänzt durch Auszüge aus dem Tagebuch seiner Frau, das sie während ihrer ganzen Krankheit führte, eine Fortsetzung ihres jahrzehntelangen Dialogs auf andere Weise. Immer respektvoll und zutiefst getragen von ihrem gemeinsamen Glauben, ihrer Suche und der tiefen Verbundenheit mit der Mystik Meister Eckharts gehen sie miteinander durch die schweren letzten Tage und Wochen.
Und noch nach ihrem Tod ist der tief trauernde und getroffene Dietmar Mieth mit seiner Frau im Gespräch. Und er spürt: „Lieben, auch in der Schwachheit, ist immer wieder ein zu spürender warmer Mantel, den Hoffnung und Glaube uns um die Schultern legen.“
Am Ende eines berührenden und selten authentischen Buches formuliert er eine erstaunliche theologische Erkenntnis: „Die Intensität der Liebe nimmt im Glauben das Reich Gottes vorweg. Das Reich Gottes ist die Ausbreitung der Leichtigkeit der Liebe ohne Verlust der Intensität. Dafür gibt es keine Vorstellungen, aber intensive Hoffnungen. Der Glaube, den wir so in eine Gefühlssprache übersetzen, bleibt in der Schwebe. Er ist kein Standbild, er schwingt und fliegt. Ich will nur mitschwingen und mitfliegen.“
Ein ganz erstaunliches Buch über Leben und Sterben und die Hoffnung über den Tod hinaus.
Dietmar Mieth, Irene Mieth, Sterben und lieben. Selbstbestimmung bis zuletzt, Herder Verlag 2019, ISBN 978-3-451-38315-1
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2019-05-15)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.