Battersea Power Station
„Pigs on the Wing“ lautet ein Song auf dem Album „Animals“ der britischen Dinosaurierband Pink Floyd. Das Cover dieses Albums zeigt die Battersea Power Station, die immer noch mitten im heutigen London steht und zwischen dessen Schornsteinen ein riesiges Schwein gespannt wurde. Das Bild sollte ausdrücklich keine Fotomontage werden und doch wurde aus dem Fotografieren nichts, denn das Schwein trieb nach zwei Tagen ab und es musste sogar der Heathrower Flugverkehr umgeleitet werden, da das Schwein unkontrolliert auf über 6.000 Meter aufstieg und erst Stunden später ausgerechnet auf eine Schafherde abstürzte. Als Schafe werden auf dem Album nämlich jene Menschen bezeichnet, die nur ihre Ruhe wollen, also die breite Masse; als „Hunde“ die kapitalistischen Profitgeier und als „Pigs“ die Moralapostel. Pink Floyd wollten mit „Animals“ auf die Punkbewegung reagieren, die beim Erscheinen des Albums 1976 schon losgebrochen war und wie kaum etwas Anderes für die Stadt selbst, London, steht. „London Calling“ von The Clash erschien zwar erst 1979 aber es zeigt die musikalischen Welten, die zwischen den Monumentaldinosaurierrockern Pink Floyd und neuen aufbrechenden Bands wie den Clash liegen. Und es zeigt auch, dass es davor, also vor den Siebzigern, noch ein anderes London gab, nämlich das der Carnaby Street, der Flower Power und der Hippies, die ja eigentlich ein amerikanisches Phänomen waren.
Notting Hill und Catsuit
Der Karlsruher Kunsthistoriker Rainer Metzger spannt einen weiten Bogen zwischen Mary Quants Minirock und Vidal Sassoons „Bob“, der Pop Art und Op Art, Richard Hamilton und David Hockney, Francis Bacon und Lucian Freud, dem Fotografen David Bailey und seinem bevorzugtem Model Jean Shrimpton, den Beatles und den Rolling Stones. The Who und The Kinks, Emma Peel – in ihrem körperbetonten Catsuit – und James Bond spielen bei seinen Recherchen ebenso eine Rolle wie die Architektengruppe „Archigram“ und ihre utopischen Entwürfe. Die „Swinging Sixties“ waren definitiv die beste Zeit für London, denn in diesem Jahrzehnt hatte die britische Metropole Trends gesetzt, die auch heute noch Bestand haben. Paris hatte als Welthauptstadt des guten Geschmacks nach dem Krieg ausgedient und London, als Siegermacht, konnte dieses Vakuum füllen. Seit Mitte der Sechziger Jahre gibt es auch den Notting Hill Carneval, der seither immer wieder um den Bankholiday herum im August zelebriert wird. Und damit wohl auch die Erinnerung an eine bessere Zeit.
Von „Gentry“ zur Gentrification
„Indica“ hieß Mitte der Sechziger die berühmteste Galerie, in der Paul McCartney ein Bild Rene Margrittes erstanden haben soll, das einen Apfel zierte. Dies inspirierte ihn zur Gründung der Plattenfirma „Apple“. In derselben Galerie sollen sich auch eine gewisse japanische Fluxuskünstlerin und ein Bandkollege McCartneys kennengelernt haben. So wichtig kann eine Galerie für den Anfang und das Ende einer der berühmtesten Popbands der Welt sein. Schon 1964 soll übrigens auch der Begriff der „Gentrification“ von der Londonerin Ruth Glass geprägt worden sein. Das Phänomen beschreibt vor allem den Zuzug neuer Schichten und Milieus und die Vertreibung der alteingesessenen Arbeiterkultur. „Wer sich breitmacht und die Sozialstruktur durcheinander bringt, benimmt sich wie ein Gentry, der alte Landadel, es ist ein luxuoriöse Existenz des Müßiggangs, der Nochchalence und des Sich-gehen-lassens. Es ist eine Wendung zu Lebensstilen der Aristokratie.“, so beschreibt auch Metzger das aufbrechende neue Lebensgefühl, das durch die Einnahme einer synthetischen Droge namens LSD sogar noch beschleunigt wird.
London: The Swinging City
Der Begriff der „swingenden“ Stadt London stammt von der Journalistin Piri Halasz, die in einem Artikel über die Stadt mit dem Titel „You Can Walk Across It On The Grass“. Wer schon einmal in London war, dem werden die Schilder aufgefallen sein, auf denen steht, dass man keinesfalls über den Rasen laufen solle. In den Sechzigern wurde damit allerdings der Marihuanakonsum assoziierte, nicht unbedingt, dass die Stadt weich gebettet sei und man sich leicht in „The Scene“ bewegen könne, so Rainer Metzger. Letzterer vermutet den Ursprung der musikalischen Revolution nicht nur in den Galerien der Stadt - wie oben schon angedeutet – sondern vor allem in den Art Schools. Stones, Who, Beatles, Clapton, Pink Floyd…zumindest ein Bandmitglied habe jeweils eine solche besucht. Künstler wie Allen Jones hätten die Popkultur wesentlich beeinflusst, wie auch die berühmte Milchbar in Kubricks „Clockwork Orange“ zeigt: Frauenpuppen in permissiver Stellung dienen als Stühle oder Tische, auf denen Alex und seine grausamen Freunde ihre Drinks abstellen. Der Roman von Anthony Burgess erschien 1962 und gab einen Idee, von den things to come… Die Battersea Power Station, das Kohlekraftwerk, das London zwischen 1933 und 1983 beheizte soll übrigens neuesten Informationen zufolge von einer malaysischen Immobiliengruppe in einen Büro- und Wohnungskomplex mit Eventlocation umgebaut werden. Nachdem REO das Areal übernahm und bald darauf Insolvenz anmeldete und auch der Fußballverein Chelsea sich beworben hatte, gelang es den Malaysiern SP Setia das 15,8 ha riesige Areal bei der Vauxhall Bridge zu erwerben. http://www.industri.uk.com/battersea
Weitere Titel, die in gleicher Ausstattung beim Christian Brandstätter Verlag erschienen sind, lauten etwa: Paris 1919-1939. Kunst, Leben & Kultur (Vincent Bouvet/Gerard Durozoi), Moskau & St. Petersburg | Revolution der Kunst (John E. Bowlt). Vom selben Autor wie „Swinging London“ liegen in der gleichen Ausstattung auch vor: München um 1900, Berlin | Die wilden 20er Jahre, Wien um 1900. Alle diese Titel sind im Format 16,5 x 24 cm, reich und farbig illustriert, auf 400 Seiten, mit ca. 500 Farb.- und s/w-Abbildungen im Hardcover erschienen. Es darf gejubelt werden!
Rainer Metzger
Swinging London. The Sixties. Leben & Kultur 1956-1970 WWW.CBV.AT
Format 16,5 x 24 cm 384 Seiten, ca. 350 Abb. Hardcover
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2012-06-28)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.