Der Begriff der „Wende“ im Kontext der Alpenrepublik Österreich hat einen kleinen Beigeschmack. Er ist fast schon wie ein unappetitliches sprichwörtliches Haar in der tagespolitischen Suppe der Alpenrepublik mit dem monarchistischen Flair. Wir erinnern uns, wenn auch ungern: Die blau-schwarze Regierung war in Österreich zur Wende angetreten und wollte den Staat, so wie sie ihn vorfand wenden. Dies tat sie vor allem mit einer Reihe an Wortwend(ung)en im eigentlichen Sinn, indem sie Wörter und ihre allgemein verständliche Bedeutung hernahmen, kräftig durchschüttelten und wie einen Polsterbezug hin- und herwandten. „Reform“, „soziale Treffsicherheit“, „Gegengeschäfte“ und wie diese Begriffe alle hießen wurden im tagespolitischen Diskurs diskursiv verwurstet. Die Opposition hatte dem nicht viel entgegenzusetzen. Von der Wende ist seit der Regierung Schüssel II keine Rede mehr, zumal Andreas Khol – seines Zeichen Nationalratspräsident - prophetisch sinnierte, dass die „Wende geschafft sei.“ Ob dieses tagespolitischen Kontextes, ist es natürlich zunächst unverständlich, was ein Buch eines luxemburgischen Kollegen, mit dem vielsagenden Titel „Wortwenden“ einmal diesen österreichischen Kontext in mir wachruft.
Cornel Meders Wortwenden sich zu nähern geht am besten über das Ausschlussverfahren. Was sind die Wortwenden alles nicht? Sie sind weder Roman, noch Erzählung, auch kein ausschließlicher Essayband. Die alles und nichtssagende Bezeichnung des Sammelbandes erscheint wohl am ehesten, die Form betreffend, angebracht. Die gute, alte Gattungsbezeichnung Prosa ließe sich noch ohne weiteres hinzufügen. Ebenfalls im Sinne des oben erwähnten Auschlussverfahrens: Lyrik und Drama kommen in dem Band nicht vor. Bei den Texten, die Cornel Meder uns präsentiert, handelt es sich teilweise um Wiederveröffentlichungen teilweise um Brandneues – sprich zum ersten mal Gedrucktes. Zeitungsartikel, Kleinsatiren, Essays, „Glossen, Monologe und Aufsätze“ so der Untertitel decken u.a. auch 25 Jahre luxemburgische geisteswissenschaftliche und kulturpolitische Arbeit ab und belegen u.a. auch die enge Verbindung Cornel Meders mit der Tageszeitung „Escher Tageblatt“. Daneben finden wir immer wieder den Prosaautor Meder, der mit den Gattungen des Tagebuches, des Berichtes und der Satire arbeitet. Cornel Meder macht sich mit diesem Buch, das nicht weniger als 639 Seiten umfasst, selbst ein Geschenk und gibt dem/der Leser/in Einblick in verstreutes Material der letzten beiden Dezennien. So schreibt er selbst im Vorwort, jener von den meisten Leser/innen so unterschätzten Gattung: “Lange Jahre hatte der nunmehr Fünfundsechzigjährige weder Zeit noch Gelegenheit sich selbst als Schreiber zu betreuen. Manches erschien an verschiedenen, fast schon entlegenen Orten und konnte nicht als Teil eines Gesamten wahrgenommen werden. Hier soll eine Wiedergutmachung an Vernachlässigtem stattfinden und vieles (natürlich nicht alles) zusammengeführt werden was, auch wenn nicht auf den ersten Blick erkennbar, zusammengehört“. (Meder, 2003, 11).
Mit diesem orangegebundenen Wälzer tritt also einer an, um wie es Michel Tournier einmal gesagt hat, sein „kleines Werk“ zusammenzutragen, um es zu einem großen – sprich in erster Linie einem Buch – zu machen. Oft ist es ja so, dass Glossen, kleinere journalistische Texte und ähnliches, von Autor/innen gerne als Brotzuverdienst gesehen werden –man/frau misst ihnen nicht die notwendige Bedeutung bei und gibt sich kaum Zeit die Arbeit zu bündeln. Sind es aber nicht gerade diese so genannten Gelegenheitsarbeiten, die so viel mehr über den/die Autor/in (aus)sagen, als durchkomponierte „große“ Werke und noch schönere Sekundärliteratur. Spätestens an diesem Punkt drängt sich die autobiografische Gretchenfrage aller Literaturbesprechungen und –kommentare auf. Wer ist ... Cornel Meder?
Cornel Meder wurde am 23. 9. 1938 in der schönen Stahlstadt Esch/Alzette geboren (mittlerweile, wenn mich nicht alles täuscht, die zweitgrößte Stadt des Großherzogtums). Nach einem Studium der Germanistik, der Geschichte sowie Lateins und Philosophie nahm er die Referendar- und Lehrtätigkeit im so genannten „Jongenlycée“ (frei übersetzt „Knabengymnasium“) in seiner Heimatstadt auf und widmete sich sympatischerweise der Volksbildung in Differdingen. Er gründete in seinem Leben mehrere Zeitschriften u.a. die „Galerie“, die auch für mich ein wunderbares Podium darstellt. Zahlreiche Publikationen zur Literaturwissenschaft und vor allem zur luxemburgischen Literatur entstanden im Laufe seiner Karriere. Ferner leitete er jahrelang das Staatsarchiv und zeichnet als Mitbegründer des Luxemburgischen Literaturarchivs.
Für mich sind die literaturhistorischen Arbeiten von Cornel Meder in diesem Band zentral. Vor allem der Beitrag über Aline Mayrisch, der luxemburgischen Stahlmagnatenehefrau, die über Jahre hinweg in Colpach einen „Salon“ unterhielt, in dem sich große Namen der Zwischenkriegszeit tummelten, wie etwa Walther Rathenau, André Gide u.a.m. Aline Mayrisch kann also durchaus als der luxemburgische Gegenpart zu Berta Zuckerkandl verstanden werden. Cornel Meder schildert zudem eindrucksvoll, wie Aline Mayrisch etliche deutschsprachige Schriftsteller/innen im Exil mit finanziellen Zuwendungen unterstützte. Wie etwa Thomas Manns Zeitschriftenprojekt „Maass und Wert“, Annette Kolb und René Schickele oder etwa Robert Musil, der sich allerdings allzu sehr zierte den Sprung nach Luxemburg zu machen. Nicht weniger beeindruckend ist jedoch auch Meders fiktive Prosa, wie etwa das Tagebuch von Jansen. Die titelgebenden Partien „Wortwenden 1 und 2“ sind ähnlich wie „Spieldose“ am ehesten mit einem kritischen Lexikon zu vergleichen und überprüfen tagespolitische Wortwend(ung)en auf ihren tatsächlichen Gehalt.
Und dann doch noch ein weiterer Österreichbezug... ein Text zu Thomas Bernhards, vielmehr zu dessen Tod im Jahre 1989 – wieder in Form eines Tagebuchauszuges. Thomas Bernhard, der wie andere österreichische Autor/innen weiland bei den Mondorfer Literaturtagen las und weilte... Kaum eine/r wird sich daran erinnern, zumal Bernhard mittlerweile in den Pantheon der Großen in Österreich aufgenommen wurde und wie bei vielen großen österreichischen Autor/innen begann die Karriere im Ausland.
Nicht zu vergessen das Thema „Kleinstaat“ im großen Europa, das ja auch in Österreich unterschiedlich angestimmt wird. Mal ist man das Volk der großen Söhne, mal wieder zu klein um irgend etwas ausrichten zu können. Luxemburg ist das genauso anders wie Wien es immer zu sein vorgibt („Wien ist anders“: offizieller Slogan der Stadt)
Formal mag der Aufbau des Buches ein wenig ungewöhnlich erscheinen. Die Absätze zwischen den einzelnen Textpassagen sind ziemlich geräumig, so als wollte uns Cornel Meder demonstrativ genug Platz einräumen um zwischen den Absätzen zu lesen...
Die Wortwenden sind gerade ob ihres Sammlungscharakters eine Chronik Luxemburgs der letzten 25 Jahre mit großem Unterhaltungswert.
Hinweis:
Cornel Meder
Wordwenden. Glossen, Monologe, Aufsätze
Editions Le Phare, 2004.
ISBN 2-87964-069-5
[*] Diese Rezension schrieb: Thierry Elsen (2005-02-07)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.