Wenn es einen kritisch reflektierenden Vordenker für das Kommunikationszeitalter gab, dann war es der kanadische Pädagoge Marshall McLuhan. Bereits 1911 geboren und 1980 gestorben, hat er seit den fünfziger Jahren mit seinen Publikationen und Statements seine Zeitgenossen gehörig verwirrt. Die Mechanische Braut (1951), Die Guttenberg Galaxie (1962), Medien Verstehen (1964), Das Medium ist die Botschaft (1967) sowie Krieg und Frieden im globalen Dorf (1968) waren seine Hauptwerke, mit denen er bei einigen Pionieren Euphorie auslöste, bei vielen anderen jedoch auf Unverständnis und Befremdung stieß. Fast ein halbes Jahrhundert seit dem Erscheinen seiner Bahn brechenden Werke hat sich vieles immer noch nicht im öffentlichen Bewusstsein festgesetzt und daher wirken seine Erkenntnisse und Thesen bis heute noch so erfrischend radikal.
Der vorliegende Band könnte nicht besser geeignet sein, um an die Denk- und Arbeitsweise dieses unkonventionellen und überaus analytischen Geistes heranzuführen. In insgesamt fünf längeren Interviews zu unterschiedlichen Zeit- und Schwerpunkten unternimmt McLuhan eine Reise durch seine Erkenntniswelten. In den Interviews geht es um die Entkörperung der Sender im Kommunikationsprozess, um epistemologische Herangehensweisen bei der Erforschung neuer Terrains, um das Prekariat des historischen Standpunkts, um die Gleichzeitigkeit unterschiedlicher kultureller Rezeptionsweisen wie um die Geschlechtsorgane von Maschinen.
Ja, vieles klingt bizarr und vielleicht auch zunächst abschreckend, weil zu befürchten wäre, dass das alles in einer Abstraktionssphäre zu verpuffen droht, in der man sich sehr trunken fühlt. Doch Marshall McLuhan war ein kanadischer Pädagoge, d.h. er besaß das leider in Europa eher seltene Talent, anhand alltäglicher Beispiele und mit ungeheurem Unterhaltungswert über seine exzentrischen Forschungsunterfangen zu berichten.
Daher muten diese Interviews an wie eine Schatzkiste der Inspirationen und Lösungsansätze und vieles, was da vor einem halben Jahrhundert thematisiert wurde, ist brandaktuell. Wir erfahren einiges über den semantischen Wechsel von Inhalt und Form, über die Funktionsweise von linker und rechter Hirnhälfte und deren geographischer Domänen, über das Rezeptionsverhalten von oralen und alphabetischen Gesellschaften und die daraus resultierenden Wirkungsweisen neuer Techniken auf diese Gesellschaften. Und das heute so verniedlichte globale Dorf verwandelt sich bei dessen Entdecker in der Urschrift als eine archaisch brutale Formation, deren Überwindung man sich sehnlich herbeiwünscht.
Das frappierende an diesem Buch, das allen, die sich mit den Aporien und Paradoxien des Kommunikationszeitalters beschäftigen, dringend ans Herz gelegt wird, ist die Erkenntnis, dass der frühe Namensgeber vieler Phänomene alles andere als ein Verfechter jeder neuen Technik war. Er sah vor allem die zerstörerischen Potenziale, weil es den humanen Nutzern an Reife fehlte…
[*] Diese Rezension schrieb: Gerhard Mersmann (2011-04-25)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.