Sie waren einmal sehr verliebt ineinander und haben mit großer Freude eine Familie gegründet, die beiden Römer Delia und Gaetano. Doch ihr Glück ist zerstoben, ihr Glück zerbrochen, ihre Lebe zersplittert. Sie haben sich getrennt. Gaetano wohnt in einem billigen Hotel und Delia ist mit den kleinen Söhnen Cosmo und Nico in der Wohnung geblieben.
Gaetano und Delia sind beide Mitte dreißig und träumen jeder für sich von einem Neuanfang, als sie sich eines Tages auf Vorschlag von Gaetano zu einem Essen in einem Restaurant treffen. Margaret Mazzantini beschränkt die Handlung ihres bewegenden Romans auf die Dauer dieses sich über mehrere Stunden hinziehenden Essens. Doch mit entsprechenden Rückblicken in die Lebensgeschichten des Paares und die Geschichte ihrer Beziehung und ihres letztendlichen Scheiterns, die sie immer wieder geschickt in das Gespräch des Noch-Ehepaares einbaut, gibt sie dem Leser einen Einblick in die Gründe der langsamen Erosion einer Liebe, die am Ende zwischen alter Leidenschaft und neuer Wut schwankt: „Sie stehen am Rand einer Katastrophe. Unablässig starren sie sich an, Wie zwei Menschen an einem Abgrund. Mit der Angst, hineinzustürzen. Von wo ist diese Kluft ausgegangen, die den Boden zerteilt hat? Sie können ringsumher suchen. Doch ein wirkliches Epizentrum gibt es nicht. Sie schauen sich an, lächeln.“
Ja, reden können sie noch miteinander und insbesondere Gaetano ist noch voller Liebe für seine Frau und vor allem für seine beiden Kinder, während Delia nur noch Leere spürt. Der Leser erfährt von zwei schwierigen Kindheiten, wie sich die beiden in der Praxis der ehemalig magersüchtigen Ernährungsexpertin Delia kennengelernt haben, vom Glück, das die beiden Kindern für die beide bedeuten. Auch der zunächst gelungene Rollentausch, als der angehende Schriftsteller Gaetano als Hausmann bei den Kindern bleibt, während Delia weiter arbeitet, scheint die Ehe der beiden eher weiter zu bringen. Sie sind stolz darauf anders, alternativ zu leben: „Es war herrlich, nicht zu sein wie die anderen. Sie wussten nicht, dass sie dadurch allein, isoliert bleiben würden.“
In ihrem langen Gespräch während eines mehrgängigen Menus versuchen die beiden, ihrem Scheitern auf die Spur zu kommen. Zeitweise Einsichten wechseln ab mit gegenseitigen Vorwürfen. Immer wieder beobachten die beiden ein altes Paar an einem Nebentisch. Gegen Ende wird der alte Mann, mit dem Delia und Gaetano in ein kurzes Gespräch komme, zu ihnen einen Satz sagen, der sie nicht mehr loslässt und mit dem Margaret Mazzantini auch ihre Leser allein zurücklässt: „Niemand rettet sich allein“.
Die traurige und verzweifelte Geschichte eines Paares, das ganz besonders sein wollte, aber nicht gespürt hat, wie das Vertrauen zueinander langsam verdunstete. Als dieses Vertrauen verschwindet, kann die Liebe die schweren und traumatischen Vergangenheiten, die immer wieder auftauchen (Delias Vater war ein depressiver Überlebender von Auschwitz) nicht mehr auffangen und kompensieren.
Sie wollten mit Perfektion ihrem Leben einen stützenden Rahmen geben, und haben nicht gemerkt, wie dieser Anspruch ihre Liebe zersetzt. Es bleibt die offene und quälende Frage: Wie sollen sie weiter leben? Was haben sie falsch gemacht?
Ein bewegender Roman, der auf schmerzliche Weise eine vielleicht gar nicht so seltene Geschichte eines Paares unserer Zeit beschreibt.
Margaret Mazzantini, Niemand rettet sich allein, Dumont 2013, ISBN 978-3-8321-9683-7
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2013-12-19)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.