Vom amerikanischen Süden handelt dieser Roman der in Philadelphia aufgewachsenen Autorin, der schon mit ihrem ersten Roman "Zwölf Leben" (2014) ein überragender Erfolg gelang. Heute lebt sie in New York.
Zwischen Migration und Rekonstruktion: Amerika in den Achtzigern
Als The Great Migration (1910-1970) wird die freiwillige Abwanderung von Afroamericans von den südlichen Staaten in die großen Städte des Nordens bezeichnet. Sechs Millionen wanderten damals auf der Suche nach Arbeit in den Norden und veränderten damit auch das Angesicht und die soziale Zusammensetzung im durchwegs "weißen" Norden. Die große Migrationsbewegung kann natürlich auch als späte Folge des Bürgerkrieges 50 Jahre zuvor bezeichnet werden, aber auch als wirtschaftliche Flucht aus dem agrarisch geprägten Süden in die prosperierenden Industriestädte des Nordens. In diesem Zusammenhang wird auch oft der Begriff "The Second Reconstruction" verwendet, der die Einlösung der Versprechen des Bürgerkrieges für schwarze Amerikaner beschreibt. Ayana Mathis' Roman spielt in den Achtziger Jahren in Bonaparte, Alabama und schildert das Leben von Dutchess, Ava und ihrem Sohn Toussaint, drei Generationen von Afroamerikanern, die in den USA um ihr Überleben kämpfen. Während Dutchess Carson, die Großmutter, noch das Glück eines letzten Grundbesitzes einer einst blühenden schwarzen Genossenschaft in Baltimore genießen konnte, wird ihrer Tochter Ava, die nach Philadelphia auswanderte, ein ganz anderes "Glück" zuteil. Sie wird von dem ehemaligen Black Panther Cass schwanger und gleich danach verlassen. Obwohl er einen verantwortungsvollen Job als Arzt hat oder weil er einen verantwortungsvollen Job als Arzt hat, das bleibt offen.
Armut in Zeiten des Kalten Krieges oder Tear down this wall
Mit ihrem gerade elfjährigen Sohn Toussaint wird sie aus dem Haus ihres Ehemannes, Abemi, geworfen, weil dieser vermutet, sie hätte sich nie wirklich von Cass getrennt. Als einzige Zuflucht bleibt ihr vorläufig nur ein Obdachlosenheim. Nach Jahren kehrt Cass wieder zurück und Ava verfällt erneut ihrer großen Liebe. Durch ihn gerät sie in den Bann der radikalen Kommune Ark, die sich schwarzer Selbstbestimmung verschrieben hat. Aber ihr Sohn Toussaint spielt da nicht wirklich mit... Den tristen Alltag von sog. "Welfare Queens" beschreibt Mathis in einer einfachen, einprägsamen Sprache. Der Begriff "welfare queen" wurde ein gängiger Begriff im politischen Dialog und Mainstream in den 1980ern und 1990ern des vergangenen Jahrhundert, also genau in der Zeit als der Kalten Krieg am Überkochen war und Ronald Reagan die famosen Worte "Tear down this wall" (12. Juni 1987) sprach. Die Mauern zwischen den weißen und schwarzen Ghettos in den Großstädten der USA hatte er damit selbstverständlich nicht gemeint. Ayana Mathis seziert den Alltag der Armen und Zurückgelassenen bis ins Detail des Erbsenzählens und zeigt so eindringlich und anschaulich, was Armut wirklich bedeutet. Gerade als Single mother with one Child. Gerade auch, wenn man im falschen Stadtteil mit einer anderen Hautfarbe geboren wurde. Damals in Bonaparte war das noch anders: "Wir, die wir noch da sind, wir reden nicht darüber, wie es früher war. Wir haben uns an die Leere und die Stille gewöhnt, an den Wind, der an den Fensterläden des verlassenen Ladens und der Kirche rüttelt, an das Rascheln vom hohen Gras, weil niemand da ist, der es mäht - das einsamste Geräusch der Welt."
Ayana Mathis
Am Flussufer ein Feuer. Roman
Originaltitel: The Unsettled
Sprache: Deutsch, Übersetzung: Aus dem Englischen von Susanne Höbel
2024, Hardcover, 1. Auflage, 432 Seiten, Format : 12,8 x 21,0 cm
ISBN : 978-3-423-28416-5
dtv
EUR 25,00 [DE] – EUR 25,70 [AT]
[*] Diese Rezension schrieb: juergen Weber (2024-10-29)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.