Das erklärte Ziel der politscher Bildung ist die Befähigung zu selbständigem Urteil und die Erlangung der Qualifikation zur politischen Beteiligung. Der mündige Bürger ist für die Demokratie so wichtig, wie das Amen im Gebet. Denn ohne denselben würde dieselbe wohl bald abgeschafft werden, nämlich von starken Männern ohne politische Bildung. Ohne Partizipation kann ein demokratisches System nicht überleben, deswegen ist auch die politische Bildung so wichtig, weil nur mündige Bürger den Fortbestand der Demokratien garantieren können. Sozialwissenschaftliche Bildung insgesamt zielt auf politische Bildung und vice versa: Politische ist ohne sozialwissenschaftliche Erkenntnisfähigkeit nicht möglich. Erstere verschafft dem Lerner eine kognitive Orientierung, letztere eine evaluative Orientierung, beide ergänzen einander.
So kontrovers das Leben so der Unterricht
Didaktische Theorie ist notwendig, weil durch sie Grenzen gezogen werden können und der Lehrer zur Selbstkontrolle befähigt wird, aber natürlich schafft sie auch Vorgaben, die von Lehrer und Lerner bewältigt werden müssen. Die bemängelte kognitive Dissonanz zwischen Lehrern und Schülern/Studenten soll damit abgebaut werden, dass man bestimmte Lernziele vorgibt, dazu gehört eine möglichst kontroverse Darstellung, die auch Alternativen darstellt und zur Diskussion stellt. Lehren soll auf die Vermittlung von Fähigkeiten wie derjenigen des selbständigen Erkenntnisgewinns oder des Vertretens des eigenen Standpunktes abzielen und nicht auf das Beibringen von „Wahrheiten“. Eine gute Didaktik der Politik zielt auf Lösung von Problemen und auf die Gestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse, wie etwa der Minderung von Ungleichheit. Konflikte werden nach Regeln ausgetragen und vor allem durch Macht oder durch Konsens gelöst, dadurch kommt auch ihnen eine positive Rolle zu. Bei der Vermittlung von Politik soll auch darauf geachtet werden, dass sie nicht zu bloßer Institutionenkunde verkommt, da dies eine Identifikation des Lerners verhindern würde. Das Fallprinzip berührt mehrere Dimensionen als die Institutionenkunde und soll deswegen zum Thema hinführen. Um den ganzen Vorgang zu verstehen, muss man dann aber auch den institutionellen Rahmen kennen, in welchem die Beteiligten handeln.
Dimensionen der Politik
Die verschiedenen Dimensionen des Politikbegriffes (Form/Inhalt/Prozess) werden ebenso erklärt wie ihre Erscheinungsformen (Verfassung, Normen, Gesetze; Aufgaben und Zielsetzungen, Probleme Werte; Interessen, Konflikte, Kampf). Merkmale wären etwa für polity: Verfahrensregelungen, Ordnung; für policy: Problemlösung, Aufgabenerfüllung, Wert und Zielorientierung, Gestaltung; für politics: Macht, Konsens, Durchsetzung. Wer politisch handeln will, muss die Regeln und Institutionen kennen, in denen Politik sich abspielt und auch die Relationalität des Abstrakten und des Konkreten kennen lernen. Die Interessen zu erkennen, die einer politischen Aussage zugrunde liegen, also das Verfahren der Ideologiekritik benutzen oder das Fallprinzip als Chance zu einer selbständigen Bearbeitung eines politischen Sachverhaltes verwenden. Dieses ermöglicht ein „empirisches Vorgehen“ und an ihm kann das Verfahren sozialwissenschaftlicher Erkenntnisgewinnung gelernt und erprobt werden.
Problemerkennung als politischer Akt
Die Definition eines Sachverhaltes als Problem ist bereits ein politscher Akt, der Lehrer hat diese Definitionsmacht und entscheidet über Dringlichkeit, eine auf Werte oder Präferenzen bezogene Dringlichkeit, die auch aktuelle Ereignisse berücksichtigen kann. Eine Deutung ist nicht wahr oder falsch, wir können von ihr nur sagen, dass sie diesem oder jenem System von Situationsdefinitionen entspricht, diese oder jene Kontrollfunktion erfüllt, diesen oder jenen Interessen folgt. Die „Definition der Situation“ ist die subjektive Interpretation einer objektiven Lage, also die eigentliche „soziale Realität“. Die Makrowelt (Gesellschaft und Institutionen) ist nur sehr schwer zu erfassen, überhaupt nur über Begriffe, Symbole - aber sie ist nicht weniger real als die Mikrowelt (Individuum und Umkreis), denn Wirkungen gehen auch von Institutionen der Makrowelt aus.
Makro- und Mikrowelt
Die Makrowelt besteht aus viel größeren Strukturen und bringt uns in Beziehungen zu anderen, die meistens abstrakt, anonym und entfernt bleiben. Studenten oder Schüler können dann für den Unterrichtsgegenstand begeistert werden, wenn man ihnen die Möglichkeit gibt, in der Mikrowelt die Makrowelt zu entdecken. Die Lerngegenstände müssen also einen Bezug zum Leben der Schüler haben. Denn in jeder Situation begegnet der einzelne immer auch der Gesellschaft, sei es als Ausschnitt (Institution, Teilsystem), sei es als Ganzes (Gesamtsystem). Er begegnet ihr sowohl in der Mikrowelt als auch der Makrowelt, er muss sie nur entdecken, also sehen lernen.
Von Nahtstellen und anderen Situationen
„Situation“ ist ein sozialwissenschaftliches Konstrukt, das als „Nahtstelle“ zwischen Individuum und Gesellschaft, zwischen Mikro- und Makrowelt angesehen werden kann. Betrachtet werden soll auch die Außenperspektive (Fall, Problem) und im Gegensatz dazu die Innenperspektive (Situation). Insgesamt sollen durch das Entdecken der Makrowelt in der Mikrowelt bei den Schülern Fähigkeiten geweckt werden, die ihnen helfen, jetzige und zukünftige Lebenssituationen zu bewältigen, also vernünftig zu handeln. Die Reduktion von Komplexität ist als Unterrichtsprinzip dabei zu verantworten, aber auch zu beachten, dass es zwar darum geht, aus der Fülle auszuwählen, zugleich aber Vielfalt und Spielraum zu erhalten (Kontingenz). Schließlich bedeutet Handeln eben auch Alternativen zu haben. „Sowohl als auch“ statt „entweder oder“.
Lernen müssen auch die Lehrer
Lerngegenstände sind wichtig, wenn auf sie die Kriterien „Betroffenheit“ und „Bedeutsamkeit“ zutreffen. Betroffenheit ist die Wahrnehmung nicht gelungener Bedürfnisbefriedigung. Im politischen Unterricht müssen Lernende über gegensätzliche kontroverse Standpunkte und Meinungen informiert werden. Das oberste Ziel bleibt immer Problemlösungsfähigkeit: Fähigkeiten der Problemerfassung/Problemdefinition, Fähigkeiten Hypothesen zu entwickeln, lösungsrelevante Ideen zu produzieren, Fähigkeiten Mittel und Lösungsalternativen zu bewerten: genau das soll gelernt werden. Deswegen lautet die abschließende Frage an die Pädagogen auch: Habe ich den Unterricht soweit kontrovers und offen angelegt, dass den Schülern Schritte eigener Stellungnahmen und eigener Interessenfindung ermöglicht werden?
Kontroversen als Kompetenzen
Das Sonderheft des Wochenschau Verlages, das im November 2010 erschienen ist, bietet Lehrerinnen und Lehrern einen Überblick und die nötigen theoretischen Grundlagen zum Thema „Kompetenzen, Basis und Fachkonzepte im Politikunterricht“. Dabei diskutieren namhafte Fachdidaktiker wie Peter Massing unterschiedliche Modelle und Ansätze und zeigen Kontroversen auf. Im Heft wird aber auch der praktischen Frage nachgegangen, wie diese Modelle im Politikunterricht umgesetzt werden können. Das Heft spiegelt die fachdidaktische Diskussion wider und zeigt anschaulich, welche Bedeutung Kompetenzerwerb sowie Basis- und Fachkonzepte im Politikunterricht haben können. Weitere Themen: 1. PISA und die Folgen 2. Die GPJE-Bildungsstandards 3. Basiskonzepte in der politischen Bildung 4. Das österreichische Kompetenzmodell 5. Basis- und Fachkonzepte der Politik 6. Planung kompetenzorientierten Politikunterrichts 7. Raus aus dem Dilemma.
Peter Massing (Hrsg.)
Wochenschau, Sek. I+II November 2010
Kompetenzen im Politikunterricht
ISBN: 978-3-89974604-4
96 Seiten, 27.-
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2010-11-30)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.