Liebe in Zeiten des (Kalten) Krieges: davon handelt der vorliegende fesselnde Roman aus der Feder des spanischen Bestsellerautors Javier Marias. Seine Titelfigur, Berta Isla, wartet wie Penelope in dem griechischen Epos Odyssee zwanzig Jahre auf ihren verschollenen Mann Tomás Nevinson. Das im Spanischen übliche „de“ legt Berta Isla de Nevinson in dieser Zeit nie ganz ab, hat sie doch zwei Kinder mit ihm. Und auch wenn in all der langen Zeit andere Männer in ihrem Bett schlafen, gehört ihr Herz doch nur ihm: dem Totgeglaubten.
Ein modernes Epos
Der mehrsprachige und talentierte Tomás, halb Spanier, halb Engländer, wird aufgrund einer Verkettung unglücklicher Umstände vom englischen Geheimdienst angeworben und dient seinem Leben zumeist inkognito. Seine Frau gewöhnt sich bald an die langen Abwesenheiten und Wortkargheit ihres Ehemannes, denn er darf nicht darüber sprechen, was er tut. Die ersten acht Jahre ihrer Ehe ist er monateweise abwesend, doch dann kommt er ganze zwölf Jahre, seit Beginn des Falklandkrieges, nicht mehr und sie beginnt, sich bei seinen Arbeitgebern zu erkundigen. Auch diese hüllen sich in Schweigen und Geheimnissen, die Berta Isla auch mit er Hilfe ihres Schwiegervaters nicht entschlüsseln kann. Javier Marias erzählt in seinem Roman mit zehn Kapiteln abwechselnd einmal die Seite von Berta Isla und dann wieder die von Tomás. So entsteht eine Spannung, die sich bis auf die letzten fünfzig Seiten dermaßen steigert, dass man „Berta Isla“ nicht mehr aus der Hand geben will. Denn Marias erzählt auch aus der eigenen Geschichte: der langen Zeit des Kalten Krieges in der sich Spione beider Seiten auf der ganzen Welt ein unsichtbares Gemetzel lieferten.
Liebe im Kalten Krieg
Der Grausamkeiten gab es viele. Marias erzählt auch vom irischen Bürgerkrieg und seinem Blutzoll, aber auch von der Hinterlassenschaft des Franco-Regimes in Spanien, die einen hohen Tribut einforderte. Die Wunden des spanischen Bürgerkriegs sind ebenso wenig verheilt, wie jene des europäischen Bürgerkrieges. Immer wieder flechtet Javier Marias auch literarische Zitate anderer Autoren (etwa Becket oder Eliot oder The Secret Agent von Joseph Conrad) in das Leben seiner Romanfiguren ein und zeigt so, dass die Literatur in jedem Leben einen Platz hat. Auch Anspielungen auf Filme (Die Wiederkehr des Martin Guerre) machen seinen Roman zu einem interessanten Beispiel zeitgenössischer Literatur, die man nicht versäumen sollte. „Berta Isla“ liest sich wie ein europäischer Noir, an manchen Stellen geheimnisvoll und voller Andeutungen, dann wieder klar und deutlich wie ein klassischer Krimi. Aber Javier Marias schreibt anspruchsvolle Literatur, das hat er auch mit „Berta Isla“, im spanischen Original 2017 erschienen, wieder bewiesen. Absolute Empfehlung!
Javier Marías
Berta Isla. Roman
Übersetzt von: Susanne Lange
2019, Hardcover, 656 Seiten
ISBN: 978-3-10-397396-9
S. Fischer Verlag:
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2021-05-03)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.