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Subcomandante Marcos - Kassensturz
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Marcos, Subcomandante:
Kassensturz

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(Bücher frei Haus)

„Und wie fühlt man sich unter einer Sturmmütze?“, fragt die Journalistin Laura Castellanos. „Es ist sehr heiß, wenn es heiß ist, und wenn es kalt ist, dann klebt sie an der Haut und wird hart, denn sie ist aus dünnem Material. Es ist das Schlimmste, was dir passieren kann. Ganz im Ernst, ich werde nie mehr einen Aufstand mit einer Sturmmütze machen.“ Subcomandante Marcos ist nicht nur eine Maske, er ist ein Mann mit viel Humor und Selbstironie und unter allen seinen Mitstreitern zeichnet ihn sein literarischer Stil aus, deswegen wollten die Medien wohl vor allem ihn, und das obwohl er eine Sturmmütze trägt. An einer Stelle stellt Marcos nicht nur seine Zungen-, sondern auch seine Schlagfertigkeit unter Beweis. Als ein europäischer Dokumentarfilmer mit seinem gigantischen Equipment nach Chiapas anreist und dieses in stundenlanger Kleinarbeit aufbaut, um schließlich mit dem Kabel in der Hand dasteht und Marcos fragt, wo er dieses anschließen könne, antwortet ihm dieser „lakonisch-lakandonisch“: „Da siehst du mal, warum wir einen Aufstand gemacht haben!“ Es gibt nämlich keine Steckdose im lakandonischen Urwald von Chiapas...

In dem Interview resümiert Marcos aber auch, dass die Medienstrategie eigentlich nach hinten los gegangen sei. Eigentlich wollten sie, die Kommandantur des EZLN, der zapatistischen Befreiungsbewegung, genau das vermeiden, dass nämlich eine Art Führerkult entstehen könnte. Sich selbst, oder die Figur Marcos, beschreibt er selbst ohnehin nur als „Blitzableiterfunktion“.
Theoretisch könnte unter der Maske ja auch immer wieder ein anderer stecken, aber es blieb dann doch bei dem einen. Eigentlich hätte ja das rote Halstuch ihr Symbol werden sollen und wer genau auf die Fotos von Ricardo Trabulsi schaut, wird auch noch die Reste davon um Marcos Hals gelegt erkennen können. „Heute ist die Sturmmütze unser Erkennungsmerkmal“, sagt Marcos im Interview. Und denen, die ihn zwingen wollten sie endlich abzunehmen, antwortete er: „Gut wir werden sie abnehmen, wenn auch ihr Politiker euer wahres Gesicht zeigt. Auf diese Weise wurde sie zu einem Symbol und deshalb haben wir sie immer noch auf.“


Der zapatistische Aufstand im lakandonischen Urwald begann vor genau 15 Jahren am Neujahrstag 1994. Durch die Ausbreitung des Internets wurde die Unterstützung schnell international, man kann die EZLN auch als die ersten bezeichnen, die gegen die Globalisierung und ihre Auswirkungen einen - wenn auch verzweifelten Aufstand - wagten. Auf Grund dieses Jubiläums ist es wahrscheinlich auch Zeit geworden, zu resümieren, was die EZLN seither erreicht hat, deswegen auch der Titel „Kassensturz“. Seither haben die Zapatisten sich nicht nur international vernetzt, sie haben vor allem ihre eigenen autonomen Gebiete schaffen. 39 Gemeinden, die in fünf Regionen, den sogenannten Caracoles (span.: Schnecken), gegliedert sind. Sie haben damit nicht nur die Kindersterblichkeit auf Null reduziert, sondern auch sich selbst ein Leben in Würde und Selbstverwaltung ermöglicht. In den befreiten Gebieten gilt das sogenannte Rotationsprinzip, das bedeutete, das jeder einmal Politiker werden muss und die damit verbundenen Aufgaben übernehmen muss, danach aber wieder auf seinen Acker zurückkehrt. Dadurch wird erstens verhindert, dass sich eine Politikerkaste bildet, die nur mehr für ihre eigenen Privilegien arbeitet und sich bereichern will, und zweitens vertritt der jeweilige auch sich selbst als Bauer, entfremdet sich also nicht von seiner Herkunft und Basis.

Überhaupt legen die Zapatisten großen Wert auf ihr eigenes Land, da dieses stark mit der Identität und Seele eines Indio verbunden sei, erklärt Marcos. Wer ihm sein Land nehme, nehme ihm alles, was ihn ausmache, beraube ihn seiner Existenzgrundlage. Die Reform des Artikels 27 der Mexikanischen Verfassung ziele darauf ab, den mexikanischen Markt den internationalen Konzernen restlos zu öffnen. Und genau das haben die multinationalen Konzerne vor: den hintersten Winkel auf Rohstoffe hin zu plündern und lokale Identitäten zu zerstören, so wird ein globalisiertes Lumpenproletariat geschaffen, das keine Heimat und keine Identität mehr habe, allein seine Arbeitskraft dem Höchstbietenden verkaufen kann.

Ohne jetzt hier genauer auf weitere Details eingehen zu können, das Interview ist natürlich mit sehr viel Sympathie gezeichnet, wer könnte dem Charme eines literarisch veranlagten Menschen widerstehen? Es werden sich viele Gutmenschen und politisch korrekt Denkende in den Interviewfragen von Laura Castellanos wiedererkennen, denn sie legt auch Wert auf Genderfragen, hinterfragt kritisch die Organisationshierarchie, untersucht die politischen Fehler von der Kommandantur (um nicht allein Marcos die Schuld dafür zu geben). Subcomandante Marcos selbst ist eine Person, die - würde es sie nicht wirklich geben – man erfinden müsste. Er scheint tatsächlich über jeden Zweifel erhaben zu sein und das zu verkörpern, was schon Ernesto Guevara unter dem neuen Menschen verstand. Jemand, der sich für die Gemeinschaft einsetzt, eigene Interessen und Bedürfnisse zurückstellt (Marcos lebt seit 24 Jahren im Urwald) und zudem eine langfristige Strategie verfolgt, deren Ergebnisse wohl tatsächlich die Welt verändern werden, falls sie es nicht schon haben. 1968 hatte die Bewegung die Medien gegen sich und konnte nur auf die Kraft der Barrikaden bauen, resümiert Marcos die Ziele seiner Bewegung. „Das war damals allerdings nur in Mexiko-Stadt der Fall, heute geht es darum, dass es im ganzen Land passiert.“
Als Castellanos ihn auffordert das bisher erreichte in einem Wort oder einem Satz zusammenzufassen, antwortet Marcos: „In einem Wort: Lernen. In einem Satz: Neu geboren werden.“ Meistens folgt auf eine Bilanz, oder einen Kassensturz, eine neue Strategie. Man darf also gespannt sein…

Neben dem Interview aus dem Jahre 2008, das mehr als vier Stunden gedauert haben soll, findet man auch einige Fotos des Sub (witzigerweise auch zu Pferd) und zudem ein Glossar mit den wichtigsten Begriffen und Ereignissen des zapatistischen Aufstands im Anhang. Außerdem die sechste Erklärung des EZLN aus dem lakandonischen Urwald aus dem Jahre 2005.
Die Erträge aus dem Verkauf des Buches gehen zugunsten der zapatistischen autonomen Gebiete.

Laura Castellanos ist die Autorin des Buches México Armado 1943–1981, Chronik der Guerillabewegungen, die in den 1960er und 1970er Jahren in Mexiko aktiv waren. Ihre journalistische Arbeit beschäftigt sich mit den Themen Indígenas, Frauen, Migration und Guerilla in Mexiko. Ricardo Trabulsi hat nahezu alle wichtigen Persönlichkeiten aus der Welt des Show-Geschäfts im spanischsprachigen Raum fotografiert, u.a. für Gatopardo, Elle, Vogue, Hola (Spanien) und Internazionale (Italien). Subcomandante Insurgente Marcos, inoffizieller Sprecher des Geheimen Revolutionären Indígenen Komitees – Generalkommandantur des Ejército Zapatista de Liberación Nacional. Zum Thema Zapatisten sind außerdem lieferbar ist im Nautilus Verlag ausserdem lieferbar: Marta Durán de Huerta: „Yo Marcos und Der Wind der Veränderung. (Kommentare und Dokumente). Botschaften aus dem lakandonischen Urwald.“

Subcomandante Marcos
Kassensturz
Interviews mit Laura Castellanos
Aus dem Spanischen übersetzt von Horst Rosenberger

2008
Nautilus Verlag
Broschur, 160 Seiten,
mit 10 S-W-Fotos von Ricardo Trabulsi
€ (D) 13,90 / sFr 25,90 / € (A) 14,30
ISBN 978-3-89401-590-9

[*] Diese Rezension schrieb: Juergen Weber (2009-02-27)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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