„Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein“, schrieb der deutsche Philosoph Friedrich Nietzsche in „Jenseits von Gut und Böse“. Eigentlich hatte Malewitsch selbst dem verbalen künstlerischen Ausdruck den Vorrang vor dem visuellen gegeben, da die Schöpfung von Worten größere Präzision erlaube, wie Britta Tanja Dümpelmann in vorliegender Publikation des Hatje Cantz Verlages Malewitsch zitiert: „Es ergab sich, dass es unmöglich war, mit dem Pinsel das zu erreichen, was mit der Feder möglich war. Er (der Pinsel) ist zerfetzt und kann nicht in die letzten Hirnwindungen vordringen, die Feder ist spitzer“. In seinen schriftlichen Texten zu Suprematismus und Kunst stehe unweigerlich der verbale Volltreffer erbarmungslos neben der Bruchlandung hieß es gar in einer Rezension seiner Schriften. Sein Visum erlaubte es aber auch nicht unbedingt länger an den für Bauhaus erstellten deutschen Übersetzungen seiner Texte zu feilen, wie eine ironische Anekdote des Künstlers Erklärungen für Flüchtigkeitsfehler anführt. „Samorodok“: Autor seiner eigenen Biographie
Der „mit dem Pinsel und der Feder philosophierende Künstler“, wie ihn Britta Tanja Dümpelmann auch nennt, wird in der vorliegenden Publikation des Hatje Cantz also auch gleich zwei Ebenen ernst genommen. Aber natürlich werden auch seine Illustrationen in der Ausstellung und im Katalog gebührend reproduziert resp. gezeigt. Malewitsch selbst habe einige seiner Werke zwar zerstört, weil sie seiner Ansicht nach nicht in seine Entwicklung passten, oder andere wiederum umdatiert, Jean-Claude Marcadé nannte ihn deswegen nicht umsonst „Samorodok“: Autor seiner eigenen Biographie. Was schließlich zur grandiosesten Erscheinung unter den zeitgenössischen Gemälden der Gegenwartskunst führte, wird in vorliegendem Band minutiös festgehalten, denn selbst Malewitsch konnte nach der „Erfindung“ des schwarzen Quadrats eine Woche lang weder essen, trinken noch schlafen, so Marcadé weiter. Ein „ungegenständliches Element reiner Empfindung“ sollte es sein, umgeben von weißen Rändern der Wüste und des Nichtsseins. Schwarz ist die anwesend aller Farben, weiß die Abwesenheit aller Farben, heißt es wohl nicht umsonst. Suprematismus passe deswegen am besten, weil es „Herrschaft“ bedeute, so Malewitsch. Die Ikone des 20. Jahrhunderts
„Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehn, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird“, heißt es im ersten Teil des oben angeführten Nietzsche Zitates, und tatsächlich, passt es auch zu Malewitsch, der in seinem Schwarzen Quadrat bald einen „heiligen Knaben sah, der auf der Welt erschien, um sie von der Malerei zu befreien“. Absichtlich platzierte er sein Gemälde bei der ersten Ausstellung auch an der Ostwand der Galerie, die traditionell den religiösen Ikonen vorbehalten ist. Gerne sprach er auch von seiner Ikone: „Alles, was wir geliebt haben, ist verloren gegangen: Wir sind in einer Wüste... Vor uns steht ein schwarzes Quadrat auf weißem Grund!“ Malewitschs Bauhaus-Publikation in neuer Übersetzung und mit ausführlichen Erläuterungen zur Entstehungsgeschichte ist im Hatje Cantz in hochwertiger Ausführung (Englische Ausgabe ISBN 978-3-7757-3731-9) erschienen. Der damalige Titel von Malewitschs lange Zeit einziger Publikation in westlicher Sprache lautete, etwas ungenau übersetzt: Die gegenstandslose Welt und nicht „Ungegenständlichkeit“. Der vorliegende Band bietet eine Neuübersetzung des illustrierten Künstlertextes und grundlegende Forschungen zu den vorbereitenden Zeichnungen zur Bauhaus-Publikation, die sich im Bestand des Kunstmuseums Basel befinden. Die intensive Auseinandersetzung mit diesen Arbeiten liefert neue Erkenntnisse zur Entstehungsgeschichte des Werkes. „Und nie wird mein Quadrat Matratze für die Liebesnacht sein.“ Die Ausstellung: im Kunstmuseum Basel ist noch bis 22.6.2014 zu sehen.
Kasimir Malewitsch
Die Welt als Ungegenständlichkeit
Hrsg. Kunstmuseum Basel, Texte von Simon Baier, Britta Dümpelmann, Kasimir Malewitsch, Gestaltung von Neeser & Müller
Deutsch
2014. 216 Seiten, 134 Abb.
24,80 x 28,70 cm
Leinen
ISBN 978-3-7757-3730-2
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2014-05-22)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.