Leo Malet - Nestor Burma – Die lange Nacht von Saint Germain des Prés
„Alles erledigt, und nichts erklärt“, das gefällt dem Meisterdetektiv Nestor Burma gar nicht, noch dazu wo seine einzige Spur ein Streichholzbriefchen mit der Aufschrift „La Botte Rouge“ (Der rote Stiefel) ist. Aber Nestor Burma hat nicht umsonst diesen legendären Ruf, denn auch wenn die verschwundenen Juwelen plötzlich von selbst wieder auftauchen, will er doch die wahren Urheber der Verbrechen in Serie (insgesamt drei Morde) aufklären. Dass es am Ende dann sogar noch mehr Tote gibt, als am Anfang, gehört nicht unbedingt zu seinen Ermittlungsmethoden. Er wollte ja nur die Wahrheit herausfinden und die tut mitunter eben weh. Ein besonders interessanter Dialog zwischen dem Protagonisten Germain Germain, einem Schriftsteller, und Nestor Burma entwickelt sich schon auf den ersten Seiten dieser Graphic Novel. Auf die Frage, was ein Privatdetektiv eigentlich so mache, antwortet Burma schlagfertig: „Meistens Seitensprünge. Manchmal auch mehr. Am Beginn einer Handlung, weiß man nie, wo es endet.“ Ein bisschen wie die Schriftstellerei? „Nur, dass ein Autor einen sauberen Schluss konstruieren kann. Das Leben konstruiert nichts Sauberes.“ Dafür sind die Zeichnungen und die Umsetzungen von Moynot mehr als sauber, Gratulation!
Romanvorlage Leo Malet
Die Graphic Novel, die einen Roman von Léo Malet zur Vorlage hat, spielt gänzlich im Arrondisement sixiemme, also wie der Titel schon sagt in Saint Germain, wo heute noch die große Kirche steht, die dem Heiligen Germanus geweiht ist, die dem Viertel ihren Namen gab. Sie ist das letzte mittelalterliche Zeugnis der damals reichsten und mächtigsten Abtei im Umfeld von Paris, ihr Vorgängerbau datiert sogar bis ins 6. Jahrhundert zurück. Jacques Tardi, der Zeichner und Texter nachdem sich Moynot, der Autor des vorliegenden Comics, orientiert, hatte zuvor schon andere Romane von Malet in Graphic Novels umgewandelt, darunter natürlich am prominentesten „120 Rue de la Gare“, aber auch „Die Brücke im Nebel“, „Blei in den Knochen“, „Kein Ticket für den Tod“, und „Wie steht mir der Tod“. „Dank Tardi hat Malet, der lange nicht viel mit Comics anfangen konnte, das Bildermedium als ernst zu nehmende neunte Kunst schätzen gelernt.“ O-Ton Malet: „Es ist eine neue Kunst, c`est tres honorable. Tardi ist ein großer décorateur. In seinen Zeichnungen gibt es Atmosphäre. Die geringste, undedeutendste Landschaft erhält unter seinem Pinsel einen ganz speziellen Charakter, und ich kenne nur Tardi, der so was zu machen versteht.“ Aber was TArdi gelingt, gelingt auch Moynot und nur Spezialisten mögen wohl den Unterschied erkennen.
Nestor Burma der sympathische Privatdetektiv mit Pfeife
Nestor Burma, der stets schlecht gelaunte („Mit ging sowieso alles auf den Nerv. Ich beschloss, es gut sein zu lassen und bis Montag Pause zumachen.“) und Alkohol und Tabak nicht abgeneigte Privatdetektiv, wurde schon von Tardi vielleicht etwas zu jung gezeichnet, umso mehr ist einem die Figur gleich vom ersten Augenblick an sympathisch, vor allem wegen seines Charakters - nicht so sehr wegen seinem Aussehen - natürlich. „Ich bin zwar ein harter Hund, aber einer mit Stil“, sagt er in der vorliegendem Handlung zu seinem Auftraggeber und das sitzt. Der wohl sympathischste aller Privatdetektive, Nestor Burma, gilt nicht umsonst unter den Anhängern des Krimi-Genres schon seit langem als Kultfigur und hat wohl so manchen Schauspieler oder auch Regisseur zu seiner Performance inspiriert. Insgesamt hat Leo Malet 10 Fälle des Pfeife schmauchenden Detektivs und seiner Agentur „Fiat Lux“ verfasst, aber es sind noch nicht alle als Graphic Novel umgesetzt worden. Jeder einzelne Fall des Nestor Burma spielt in einem anderen Pariser Viertel aka Arrondissement.
Den Dingen, nicht dem Whisky auf den Grund gehen
In die „Die lange Nacht von St. Germain“ hat Nestor Burma alle Hände voll zu tun und hält fast mehr seinen Revolver als seine „gute alte Freundin mit dem Stierkopf“ (seine Pfeife) in der Hand. Der Schmuck einer alten Dame im Wert von 130 Millionen alter Francs wird nämlich gestohlen und die Versicherungsgesellschaft beauftragt Nestor Burma Licht(Fiat Lux!)in die dunkle Affäre zu bringen, zumal sie ja das Geld der alten Dame nicht auszahlen möchte, sondern lieber einen Privatdetektiv mit einem 100stel davon abfinden möchte. Am Ende kommt es gar im Wohnzimmer des vermeintlichen Schriftstellers, der Eintagsfliege Germain St.-Germain, zu einem Dreierduell, fast wie in einem der berühmtesten Western von Sergio Leone. Was unterscheidet nun den Leo Malet`schen Privatdetektiv von den anderen seiner Kollegen? Na zum Beispiel, dass er statt wie seine amerikanischen Kollegen allein zu Hause vor einem Glas Whisky zu sinnieren, lieber in ein Bistro geht und mit der Kellnerin anbandelt, oder gerne mal einen Gedichtband zur Hand nimmt, um auf neue Einfälle zur Lösung seines Falls zu kommen. Deswegen reicht ihm der eingangs zitierte Satz auch nicht: „Alles erledigt, und nichts erklärt“. Nestor Burma will den Dingen eben auf den Grund gehen, dabei arbeitet er wie ein Profi, hinterlässt keine Spuren und deckt am Ende alle seine Fälle auf, denn vor allem er selbst will seine vielen Fragen beantwortet wissen. Aber auch diese Gedanken machen ihn nicht nur als Privatdetektiv, sondern auch als Privatperson ganz besonders sympathisch.
Jazz, Existentialismus und Tintin
Überaus authentisch wird von Malet auch die Pariser Nachtclubszene (das „Höhlenphänomen“, ironisierend in Anlehnung an Platons „Höhlengleichnis“) nach Ende des Krieges geschildert, die meisten seiner Burma-Romane stammen ja aus den Fünfziger Jahren und so manche Keller-Jazzkneipe oder Sartre`s Stammkneipe, das Café de Flore, werden ebenso ins Rampenlicht gestellt, wie zeitweilig der Existentialismus oder die Alkohol- und Rauschgiftexzesse der Nachkriegszeit in denselben. In vorliegendem Graphic Novel spielt sogar der Besitzer des berühmten „Flore“ eine gewisse Rolle: er bringt Burma auf die wirklich zündende Idee, aber die explodiert natürlich wie gewohnt erst am Ende der Story. Besonders amüsant zu lesen sind natürlich die trockenen Sprüche, die unser Held oder seine Gesprächspartner von sich geben. In einer Kneipe etwa verrät Burma ein Informant: „Tintin gefällt sich darin, auf dem letzten Loch zu pfeifen. Ausgelutscht wie `ne Zitrone. Das sag ich dir als Limonaden-verkäufer, und ich glaub, ich täusch mich nicht.“ „Faire tintin“ bedeutet zudem „in die Röhre gucken“, das wird wohl seinen Grund haben. Aber nicht nur diese sprachlichen Details und Malets Witz, sondern besonders auch die Art, wie er seine Charaktere zeichnet ist bemerkenswert und phänomenal, und das nicht nur, wenn es dabei um seinen Protagonisten geht.
Der charmante Einzelkämpfer mit weiblichem Rückhalt
Nestor Burma verfällt hie und da auch dem Suff, gerade dann, wenn er es am wenigsten gebrauchen kann. „Ganz schön blöd von mir mich vor einer kniffligen Aufgabe meinem Hang zum Suff nachzugeben“, sagt er und nimmt sich vor – später – mit schwarzem Kaffee alles wieder in Ordnung zu bringen. Dabei hat Burma eigentlich eine ziemlich hohe Arbeitsmoral, wie seine Eigendefinition vermuten lässt: „Bedaure. Aber ich muss immer alles ganz genau wissen. Ich betrachte eine Sache erst als abgeschlossen, wenn ich auf alle Fragen eine Antwort habe.“ Vielleicht hat er sein eigentliches Berufsziel, Dichter, also doch verfehlt? „Ich bin Privatdetektiv geworden, so etwa wie andere Leute Dichter werden. Nur dass ich Aktenordner im Regal hab und keine Gedichtbände. Ich bin Einzelkämpfer. Leb von der Hand in den Mund. Keiner hilft mir, oder fast keiner.“ Diese „fast keiner“ sind bevorzugt brünette Struwwelköpfe wie Fräulein Marcelle oder seine Privatsekretärin Helene, aber auch sonst hat Burma einige Bekannte im Milieu, die ihm noch den einen oder anderen Gefallen schulden. Dass Nestor Burma mit seinen Sprüchen und seinem trockenen Humor, so manchen Schriftsteller beim Mitschreiben in Atem hält, dafür bürgen auch solch` illustre Gedanken wie dieser: „Einige Paare stürmten sofort auf die Tanzfläche aus gestampftem Lehmboden und gaben mir Junggesellen eine Vorstellung von Ehekrach.“ Oder noch besser: „Es gibt so Tage, an denen bläst die Trübsal den Zapfenstreich.“ Wie recht er doch hat, dieser Burma!
Abgesehen davon, dass die Geschichten amüsant zu lesen sind und über genau die richtige Dosis schwarzen Humors verfügen, sind sie zudem auch noch topmodern. Wer hätte etwa gedacht, dass man in einem Krimi aus den Fünfzigern auf die Wahl einer „Miss Müll“ stoßen würde, oder so saloppe Sprüche lesen würde wie „Je hais les tours de Saint-Sulpice/Quand je les recontre/je pisse/contre.“
Leo Malet – Moynot
Nestor Burma – Die lange Nacht von Saint Germain des Prés; Moynot • Léo Malet | 80 Seiten |gebunden | Farbe | € 18,80 ISBN: 978-3-941239-39-5
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2010-11-10)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.