Solche wie Petrowitsch gab es damals viele, man fasste und fasst sie unter den Begriff UGler, Untergrundler. Im Zuge der Perestroika durften und konnten die Petrowitschs endlich legal gedruckt werden, nicht mehr nur in heimlich produzierten und ebenso weitergereichten Samisdats. (Gegen die Masse). Die Geschmähten und Unterdrückten von Gestern wurden die Gefeierten und Gedruckten von Heute, waren plötzlich groß in Mode - so, wie auch die "volkseigenen" Verlage in der DDR kurz nach der Wende in den wenigen ihnen verbleibenden Monaten 40 Jahre geistiger Kastration wiedergutmachen wollten und hastig ihre viel zu späten Solschenizyns herausbrachten. (Wer liest sie?). An Makanins Petrowitsch geht diese Mode vorbei. Der ist UGler und der bleibt es. Mit Gelegenheitsjobs, vornehmlich dem "Hüten" von (Plattenbau)Wohnungen, sichert sich Petrowitsch seine bescheidene Existenz. Dem Unsinn des Schriftstellertums ist er längst auf die Schliche gekommen:
Zitat:
"Es hatte keinen Wert, die Manuskripte irgendwo einzureichen, weder dieses noch andere. Jeder Mensch erkennt eines Tages, daß Werturteile als Formen der Anerkennung sinnlos sind. Die Welt der Werturteile hatte aufgehört zu existieren. Es war wie ein Aufklaren. Wie eine Stunde des Jubels."
"Es hatte keinen Wert, die Manuskripte irgendwo einzureichen, weder dieses noch andere. Jeder Mensch erkennt eines Tages, daß Werturteile als Formen der Anerkennung sinnlos sind. Die Welt der Werturteile hatte aufgehört zu existieren. Es war wie ein Aufklaren. Wie eine Stunde des Jubels."
Und so kann es Petrowitsch unterbleiben lassen, Manuskripte einzureichen und überhaupt erst zu schreiben. Was aber macht ein russischer Schriftsteller, wenn er nicht mehr schreibt? Die Antwort ist banal: Er schreibt einfach nicht mehr, säuft aber trotzdem. Natürlich Wodka, denn er ist ja Russe. Bei Makanin wird häufig nach ein paar Gramm Wodka gesucht, gesoffen, besoffen diskutiert - und viele Seiten des Romans lesen sich (möglicherweise) am flüssigsten, wenn man auch besoffen ist. Dann nämlich sind alle auf dem selben Plateau. (Gebt Euch die Hände!)
Anderes Thema.
Was geschieht, wenn ein Staatssystem zusammenbricht und durch ein neues ersetzt wird? Dann gibt es, so die Metapher, die Makanin gern gebraucht, alten Wein in neuen Schläuchen. (Alte Nazis in der Bundesrepublik). Konkret heißt das in "Underground", dass die privilegierte Sowjet-Nomenklatura im Wirbel der Veränderungen stürzt, tief stürzt, einige aus ihr schlagen sicherlich auch irgendwo tödlich auf - unverdient? (Kein Kommentar). Aber die Neuen an der Macht haben ja gar keine Erfahrung, so dass die untereinander organisierten Alten bald wieder aus ihren Löchern hervorkriechen, um ihnen - zu helfen. Natürlich gibt es die armen Verblendeten, die weiterhin mit ihren blutroten Fahnen über den nur im Namen roten Platz marschieren, aber so darf man sich in der neuen Zeit nicht mehr zeigen, auch wenn es einem aus dem Herzen spricht... Wer gut für sich und die seinen sorgen möchte, passt sich an. Das geht schon. (Ganz gut).
Makanins Roman ist einer der wenigen, welche die turbulente Perestroika-Zeit thematisieren und damit einen künstlerisch-menschlichlichen Blick auf sie ermöglichen. Schon deswegen ist "Underground" lesenswert, wenn auch dem Rezensenten 100 bis 200 Seiten tilgbar erscheinen. Klar, die Bilanz ist negativ - wie schon in Wiktor Nekrassows "Eine traurige Geschichte" (in Deutschland veröffentlicht unter "Die drei Musketiere aus Leningrad"), die in den 1970er Jahren spielt und von der Emigration russischer Intellektueller handelt. Ihre Kunst opferten die Musketiere dem Kommerz. Was solls? Lieber Geld in der Tasche, als sich im Kampf um Anerkennung zu prostituieren:
Nur bitterer Überdruss
Ist unser Leben; und ein Dreck die Welt.
Sei still.
--- G. Leopardi
[*] Diese Rezension schrieb: Arne-Wigand Baganz (2007-11-03)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.