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Rezensionen


 
Alex MacLean - Las Vegas / Venedig
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MacLean, Alex:
Las Vegas / Venedig

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(Bücher frei Haus)

Las Vegas und Venedig haben vielleicht mehr gemeinsam, als man sich beim ersten Lesen des Titels denken würde. Beide Städte waren oder sind einst für ihre Casinos bekannt geworden und auf diese Weise bis in alle Ewigkeit verbunden. Beide Städte zehren von der Geschichte: die eine hat keine und errichtet künstliche Denkmäler derselben (etwa: das Venetian Hotel mit Palazzo Ducale, Campanile und beider Säulen der Piazzetta, sowie Gondolieri und Rialto), die andere durch die Konservierung derselben für den Tourismus. „Beide Städte existieren in einem schwierigen natürlichem Umfeld: die eine im Salzwasser, die andere in der Wüste. Unter Einsatz gewaltiger Energieressourcen werden sie in siedlungs-feindlichen Gebieten am Leben erhalten. Beide Städte sind zugleich mythische Orte und durch ihre Architektur und Geschichte Anziehungspunkte des globalen Massentourismus.“, schreibt der Hamburger Kunstgeschichtler Wolfgang Kemp im Vorwort.

Venedig: Alles ist Kunst!
Venedig, einst von den Futuristen als Stadt des Passatismus verschrieen versinkt bald im Wasser, Las Vegas, die „Wiesen“, vertrocknet bald in der Wüste. „Ihr wollt Euch allen Fremden unterwerfen, ihr seid von einer abstoßenden Servilität! Venezianer! Venezianer! Warum wollt ihr immer die treuen Sklaven der Vergangenheit bleiben, die Hüter des größten Bordells der Geschichte, die Insassen des traurigsten Krankenhauses in der Welt?“ Das war 1910 und Marinetti & Co wollten die Kanäle der Stadt mit dem Bauschutt der alten Paläste füllen und als „industrielles und militärisches Zentrum“ wieder das adriatische Meer beherrschen lassen. Tatsächlich entstand ein solches, „neues“ Venedig später in Porto Maghera und Mestre, das die Lagune zunehmend verseuchte und seine Bewohner vergiftete, einige von ihnen starben in den Chemiefabriken Magheras, die Sechziger des 20. Jahrhunderts sind voll von solchen Berichten. Auch das Modulo Sperimentale Elettromeccanico, kurz „MO.S.E.“ genannt, könnte eingedenk Marinettis genannt werden, auch wenn dieser die Zerstörung der Stadt meinte und nicht deren Erhaltung. MO.S.E. ist ein Dammsystem, das die Lagune von außen gegen das Hochwasser schützen soll. Umweltschützer laufen schon seit dessen Planung „Sturm gegen den Damm“, da das Ökosystem der Lagune dadurch komplett zerstört werden könnte. Bekommt Marinetti in abgewandelter Form vielleicht doch noch Recht?

Las Vegas: Alles ist künstlich!
Las Vegas hingegen ist - anders als Venedig - permanent gewachsen. Der Großraum zählt 2 Millionen Einwohner, die Stadt selbst 600.000, davon 150.000 Betten für jährlich 36 Millionen Besucher. Im Vergleich dazu Venedig: 200.000 Einwohner noch 1951, heute, 2010, nur mehr 60.000, dafür auf einer viel kleineren Fläche 20 Millionen Besucher pro Jahr. „Alles was man hier sieht, das Wasser nicht ausgenommen, ist künstlich“ müsste man wohl mit Wolfgang Kemp über Las Vegas sagen, Venedig hingegen sei die „Summe von Kunst“. Las Vegas bedeute im Grunde „Oase“ schreibt er, die Stadt verdanke ihr Überleben einem Staudamm, dem Hoover-Staudamm, der schon Anfang des 20. Jahrhunderts errichtet wurde. Der damalige Bürgermeister meinte noch, seine Stadt würde die 5000er Grenze niemals überschreiten und verzichtete deswegen auf eine Stromentnahme aus dem Staudamm. Las Vegas braucht mit all seinen Lichterketten und künstlichen Beleuchtungen seiner ebenso künstlichen Monumente aus der gesamten Menschheitsgeschichte heute wohl leider sehr viel Strom, auch für die Wasserversorgung von zwei Millionen Menschen in der Wüste Nevadas. Wenn Venedig die vom Wasser bedrohte Stadt sei, sei Las Vegas die von der Wüste bedrohte Stadt. Baudrillard hat das Glücksspiel in Las Vegas mit der Wüste auf eine Ebene gehoben: „Das Glücksspiel an sich ist eine Art von Wüste, unmenschlich, kulturlos, ein Initiationsritus und eine Herausforderung der natürlichen Ökonomie der Werte, eine verrückte Aktivität am Rande des Tauschverkehrs.“ Ein Simulacrum des Moments, was er wiederum mit einer „Aktualisierung eines idealen Zustands“ definiert. Die hyperreale Stadt hat den französischen Philosophen in jedem Fall wie keine andere inspiriert. So wie Venedig zuvor tausende andere.

Die Lücke der Tücke des Vergleichs
Die beeindruckenden Luftaufnahmen des amerikanischen Piloten und Fotografen Alex MacLean zeigen etwa die Ponte della Liberta von oben oder den „Fisch Venedig“, den der Fotograf weniger poetisch mit den Worten untertitelt: „Die beiden vom Canal Grande gebildeten Teile greifen ineinander wie zwei Schraubenschlüssel“, dabei sieht die Stadt vom Flugzeug aus betrachtet doch wie zwei sich küssende Fische aus, oder zumindest wie einer, der schnorchelt! Auch die Venedig vorgelagerten Inseln wie etwa Burano mit seinen bunten Häuschen oder La Giudecca, La Grazia und die Isola San Clemente werden von MacLean ins Visier genommen, ebenso die Lagune selbst oder der verlassene Strand des Lido. Die Fotos von Las Vegas zeigen nicht nur das Venetian, das Venedig mit Markusplatz und allen anderen Details kopiert, sondern auch andere monumentale Hotels oder die Versandung des Umlands, sowie den Hoover-Staudamm. „Der Las Vegas Teil bestätige alle Vorurteile, die Europäer in Sachen Umweltsünden, vor allem in der Raumplanungspolitik der USA hegten. „In der Dimensionalität des Räumlichen gerinnt alles zu lesbaren Mustern.“ Das sei im Venedig-Teil anders, schreibt Wolfgang Kemp in seinem Vorwort zu Alex MacLeans Fotos. Im Grunde liege der Vergleich des Fotografen einer Wette nahe: welcher der beiden Markusplätze zuerst verschwindet, der in Venedig oder der in Las Vegas. Eine Lücke, die sich wohl bald schließen lässt.

Alex MacLean
LAS VEGAS / VENEDIG
Fragile Mythen
Mit einem Text von
Wolfgang Kemp
192 Seiten, 155 Farbtafeln
ISBN 978-3-8296-0504-5
€ 49.80, (A) € 51.20, sFr 70.90

[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2010-12-28)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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