Der Schweizer Autor Jonas Lüscher, hat mit seiner raffiniert gebauten Debütnovelle gezeigt, dass man zu Bewältigung eines großen Themas nicht unbedingt einen 400 Seiten starken Roman braucht, sondern dass die alte Kunstform der kleinen Novelle durchaus genügend Möglichkeiten bietet.
In seinem die Novelle umrahmenden Teil spazieren der namenslose Erzähler und der Erbe und Besitzer einer großen Fabrikkette, Preising, durch den Garten einer Einrichtung, die der Leser sehr schnell als eine psychiatrische Anstalt identifiziert. Preising erzählt in Abschnitten eine unglaubliche Geschichte, die er in Tunesien erlebt hat, wo er auf Anraten seines Geschäftsführers hingereist ist, um einer seiner Fabriken zu besichtigen. Er kommt in Kontakt mit einer Hochzeitsgesellschaft von jungen Engländern, die in der Vergangenheit mit ihren Spekulationen in der Finanzwelt sehr reich geworden sind. Doch während sie ausgelassen feiern, verändert sich die Situation auf den Finanzmärkten quasi über Nacht dramatisch. Das britische Pfund fällt auf ungeahnte Tiefen, und diese Krise droht mit verhängnisvollen Folgen auch den Rest der Welt mit ins Unglück zu stürzen. Die Hochzeitsgesellschaft kann ihre Rechnung für die mondäne Zelthochzeit in der Wüste nicht bezahlen und wird hinausgeworfen.
Das ist sozusagen der äußere Teil der Geschichte, die Preising seinem Zuhörer während ihres Spazierganges erzählt. Ein Teil, der sehr aktuell die Gefahren benennt, die uns aus den Machenschaften der Finanzwelt drohen, jederzeit.(Im Augenblick schreien alle wieder Hurra über ein Dax-Allzeithoch – wir werden sehen, wie lange es dauert, bis der nächste große Absturz kommt.)
Der andere, innere Teil der stellenweise fast parabelhaften Novelle betrachtet die Innenwelt der Akteure, reflektiert darüber, was Menschsein bedeutet, und wie sich Menschen in extremen Situationen verhalten. Obwohl er selbst weniger von der britischen Krise betroffen ist, erlebt Preisung erschüttert, wie dünn die Decke der Zivilisation ist und lernt seine eigene Lektion in Sachen Globalisierung.
Jonas Lüscher hat seine Novelle geschickt aufgebaut und in einer Sprache geschrieben, die aus einer anderen Zeit zu stammen scheint, die mir aber sehr viel Freude und Lesegenuss bereitet hat. Sein Hauptthema ist zwischen den Zeilen immer wieder die Moral, was er seinen namenslosen Erzähler mit den Worten sagen lässt:
„Ob Preisings Geschichten wahr waren oder nicht, wusste man nie so genau, aber darum ging es nicht. Ihm ging es um Moral.“
Ich warte schon jetzt auf das zweite Buch dieses Autors, den man unbedingt im Auge behalten sollte.
Jonas Lüscher, Frühling der Barbaren, C.H. Beck 2013, ISBN 978-3-406-64694-2
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2013-05-13)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.