„Nie zuvor hatte er seinen Körper so geliebt wie jetzt, wo sein Besitz so in Frage gestellt war.“ Erst 10, dann 9, dann 8, dann…waren sie alle tot. Die beiden Abenteurer Bill und Henry müssen einen Sarg mit einer Leiche durch die Wildnis von Alaska bringen, aber ein Wolf ist ihnen auf der Spur, der jeden Abend einen ihrer Huskys verspeist, bis bald auch einer der beiden Herren dran glauben muss. Aber die Leiche wird unversehrt abgeliefert und so wurde der Job dennoch erledigt. Während das erste Kapitel die Beziehung des Menschen zum Wolf aus der Perspektive des Menschen erzählt wird, wechselt Jack London mit einem geschickten Kunstgriff im zweiten Kapitel zur Perspektive des Wolfes White Fang, der von den Indianern in ihrer Sprache so genannt wurde und bald unfreiwillig den Besitzer wechselt. Aber der neue Besitzer richtet White Fang zu einem Kampfhund aus, der in der Arena seine Halbbrüder, die Hunde, im Zweikampf besiegen muss. Beauty Smith, Alkoholiker und traurige Gestalt, schlägt das Tier, um es aggressiv für die Arena zu machen und sich auf diese Weise seinen Fusel zu verdienen. „Ein Zahn jeden Hundes war gegen ihn, und die Hand jeden Mannes. Von seiner eigenen Art wurde er mit Knurren begrüßt, von seinen Göttern mit Flüchen und Steinen. Er lebte in ständiger Anspannung.“ Die Macht der Erziehung
Aber bald ereignet sich im Leben von White Fang eine kleine Revolution, wie Jack London selbst schreibt, denn bald musste der Wolf den Drang und die Vorgaben seines Instinkts, seines Verstandes und seiner Erfahrungen ignorieren und das Leben selbst Lügen strafen, denn sein neuer Besitzer meinte es tatsächlich gut mit dem Wolf. Mit der Kraft der Liebe besiegt Weedon Scott die mörderischen Instinkte seines neuen Leitwolfs und plötzlich gewöhnte sich auch White Fang an die Herrschaft des Menschen über ihn. Die Liebe „manifestierte sich als eine Art Leere in ihm – eine hungrige, schmerzende Leere, die sich danach sehnte, gefüllt zu werden“, schreibt London über White Fangs Gefühlsleben. „Liebe hatte das Geduldet-werden und Sich-gefallen-lassen ersetzt. Liebe war das Senkblei, das jene Tiefen seines Wesens auslotete, die das Gemocht-und-geduldet-werden niemals erreicht hatte.“ Und: „Seine Liebe war eine Art Anbetung, stumm, sprachlos, eine stille Verehrung.“ Aber die Klapse von Weedon schmerzten White Fang weit mehr als die schlimmsten Prügeleien seiner vorherigen Herren, Gray Beavers und Beauty Smith, mehr noch aber war die Abwesenheit des guten Herrn White Fang ein Schmerz ungekannten Ausmaßes. Des Wolfes eigensinnige Liebe
„Aber die Klapse seines Herrn waren viel zu leicht, um dem Fleisch wehzutun. Dafür gingen sie tiefer. Sie waren ein Ausdruck der Missbilligung seines Herrn und White Fangs Seele krümmte sich, wenn er sie spürte.“ Die Beziehung zwischen Tier und Mensch hat wohl selten eine so vortreffliche Ausdrucksweise und einfühlsame Anteilnahme erfahren wie bei Jack Londons „Wolfsblut“. Natürlich muss man auf den erzieherischen Hintergrund und den sozialdarwinistischen Gedanken dahinter achten, denn ein bloßes Reiz-Reaktions-Muster wird aus einem bösen Wolf wohl noch keinen guten Hund machen. Aber der erhobene Zeigefinger Jack Londons sei ihm verziehen, da die vorliegende Geschichte so schön erzählt ist, dass man sich beinahe selbst gern einen Wolf anschaffen würde. „Er liebte mit eigensinnigem Herzen und weigerte sich, seine Liebe und sich selbst gemeinzumachen.“
Jack London
Wolfsblut
Neu übersetzt, mit Anmerkungen, einer Zeittafel und einem Nachwort von Lutz-W. Wolff
dtv Verlag
Originalausgabe
304 Seiten
ISBN 978-3-423-14239-7
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2014-06-28)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.