„Einmal ein Strizzi – immer ein Strizzi“, denkt sich der Wiener Kommissar tschechischer Herkunft Joseph Maria Nechyba, um damit auszudrücken, dass ein Gauner wohl immer ein Gauner bleiben würde. Das Idiom „Strizzi“ ist so wie manche andere Vokabel des lebensfrohen „Inspectors des kaiserlich-königlichen Polizeiagenteninstituts“ dem Wiener Slang entlehnt, der in dieser Ausgabe des deutschen Gmeiner Verlages geflissentlich mit Sternchen versehen und in der Fußnote ins Deutsche übersetzt werden. Der Inspektor Joseph Maria Nechyba glaubt nämlich nicht an die Änderungsfähigkeit des Menschen, obschon er doch genau damit seine eigene Tätigkeit in Frage stellt. Denn wenn es keine Resozialisierung gibt, wozu dann Strafanstalten? Warum sollte man den Verbrechern das Handwerk leben und sie dann den Justizbehörden übergeben, wenn man nicht grundsätzlich an die Besserungsfähigkeit des Menschen glaubt? Aber Verbrecher zu werden, davor schützt ja auch eine hohe Geburt nicht!
Das Rumpsteak und die Wiener Kriminalistik
Ob das einer seiner typisch Wienerischen Eigenschaften ist, nämlich an das Gute das er tut selbst nicht zu glauben – schließlich ist das Gegenteil von „gut“ doch „gut gemeint“, wie es in Wien so schön heißt, geht aus dem vorliegenden Kriminalroman nicht explizit hervor. Sehr wohl jedoch, dass Nechyba ein ausgewiesener Gourmet ist, der auch gerne mal ein typisch Wienerisches Rezept an den werten Leser weitergibt. Etwa das eingerollte Rumpsteak - das übrigens wesentlich zur Aufklärung des Falles beitragen wird - das vom kostschätzenden Kommissar gerne eingerollt und mit Sardellenbutter gewürzt und mit Suppe zwei Stunden gedünstet wird. Oder die Krautfleckerl, für die man unbedingt das Sauerkraut am Wiener Naschmarkt kaufen sollte, denn nur dort gibt es einen Verkäufer, bei dem es immer frisch ist, übrigens auch heute noch. Und der Naschmarkt führt uns auch zum eigentlichen Fall, den der Nechyba zu lösen hat.
Schläger, Mörder, Frauenverächter
Am Naschmarkt geschehen nämlich gleich zwei Frauenmorde, die die Polizei beschäftigen und auf dieselbe Art und Weise ausgeführt werden. „Der Schöberl ist kein Würger, sondern ein Schläger“ lautet auch bald das Fazit über den ersten Verdächtigten. Denn der Metzger, der in Wien natürlich Fleischhauer heißt, - also einer, der das Fleisch haut - ist keiner, der ein Seidentuch zur Hand hätte, um eine Frau von hinten zu erwürgen. Genau das ist aber die Methode des Mörders. Und das passt eben nicht zum Schöberl, dem Lieblingsfleischhauer unseres Kommissars, der zwar gerne Frauen schlägt und bedroht, sie aber nicht umbringen würde. „Nur weil ein Mann eine Frau schlägt ist er noch lange kein Mörder“. Ein Schläger ist noch lange kein Mörder, oder doch? Und ein Frauenverächter ja auch nicht, höchstens ein Selbstmörder, so wie der Otto Weininger, der für die Entwicklung des Plots des Romans übrigens eine fast so wichtige Rolle spielt, wie das bereits angesprochene Rumpsteak. Aber es muss noch ein weiterer Unschuldiger im Kotter schmoren, bis Nechyba endlich auf die richtige Spur kommt, die er übrigens einer Köchin zu verdanken hat, in die er sich – auch aufgrund des Rumpsteaks - schon im Kapitel zuvor verliebt hatte.
Revolutionen zur Freude des Wirt‘n
Neben den vielen Wiener Slangausdrücken atmet dieser Kriminalroman aber auch aufgrund der Gewohnheiten des Kommissars typische „Wiener Luft“. Die ist zwar nicht so gut wie die sprichwörtliche Berliner, dennoch aber eine wichtige Ingredienz für die Entfaltung des Charakters Nechyba. Abgesehen davon, dass er gerne ein Pilsner und ein Gulasch in einem Wirtshaus zu sich nimmt, geht der Nechyba auch gerne ins Kaffeehaus, zum „Debattier‘n“ und schließlich hat er auch die Lösung des Falles dieser zutiefst Wienerischen Institution zu verdanken. Denn dort „zsammsitzn und diskutiern“, dabei sind schon einige andere nützliche Dinger herausgekommen, nicht nur die Revolution eines gewissen Herrn Bronstein aus dem Wiener Cafè Central. Was übrigens auch die Wiener Gastfreundlichkeit hinlänglich erklären dürfte: „Denn im Gegensatz zu den eher konsumationsarmen Tarockabenden wurde heute infolge des lauten und erregten Diskutierens heftig den Getränken zugesprochen. Was dem Cafetier einen hübschen Umsatz brachte.“ Wenn‘s also sonst niemandem was nützt, das „Zsammsitzn und Diskutiern“, dann zumindest dem „Wirtn“, der freut sich in jedem Fall, zumindest dem wird „gholfn“.
Joseph Maria Nechyba zündet sich eine Virginier an, bestellt noch einen Kaffee mit einem Cognac, denkt über den Klimt (der ein kleine Rolle als Gläubiger spielt) oder den Weininger („Geschlecht und Charakter“) nach und seine kleine Zimmer-Küche-Kabinett Wohnung sieht ihn immer seltener, bis er endlich den Fall wirklich gelöst hat, ohne freilich den Schuldigen wirklich zu fassen. „Ein Strizzi bleibt halt immer ein Strizzi“, so oder so und jetzt: „Kusch und sauf!“
Gerhard Loibelsberger
Die Naschmarkt-Morde – Ein Roman aus dem alten Wien
Gmeiner Verlag 2009
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2012-02-20)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.