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Rezensionen


 
Michaela Lindinger - „Mein Herz ist aus Stein“. Die dunkle Seite der Kaiserin Elisabeth
Buchinformation
Lindinger, Michaela - „Mein Herz ist aus Stein“. Die dunkle Seite der Kaiserin Elisabeth bestellen
Lindinger, Michaela:
„Mein Herz ist aus
Stein“. Die dunkle
Seite der Kaiserin
Elisabeth

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(Bücher frei Haus)

„Weil sie es wollte!“ Ein Buch über die österreichische Nationalheilige Sisi mit den Worten des italienischen Anarchisten Luigi Lucheni enden zu lassen ist nicht nur mutig, sondern geradezu wohltuend, angesichts der anheimelnden Habsburg-Nostalgie, die sich zuletzt beim Begräbnis Otto Habsburgs in Wien (2011) zeigte. Lucheni handelte jedenfalls ganz in seines Opfers Sinne, denn seine Antwort auf die Frage, warum er die Kaiserin ermordet habe, entspricht tatsächlich der Wahrheit: Elisabeth, die Kaiserin von Österreich, „schönste Frau der damaligen Zeit“, Königin von Ungarn wollte sterben. Aber warum nur? War sie gar von der englischen „schwarzen Romantik“ beeinflusst, Melancholikerin oder einfach nur depressiv?

Ästhetik=Diätik
Gerade in ihren beiden letzten Lebensjahrzehnten, denen sich die vorliegende außergewöhnliche Publikation widmet, kamen Sisis dunkle Seiten besonders zum Vorschein. Schon mit 40 Jahren hatte sie nämlich höchstselbst festgestellt: „Ein Mensch von vierzig Jahren, löst sich auf, verfärbt sich, verdunkelt sich wie eine Wolke“. Sie, die Frau die alles hatte, was man sich wünschen konnte, war dennoch (oder deswegen) unglücklich und selbst ihr Reformkost orientierter Gesundheitsfanatismus war nichts anderes als eine Huldigung an das Dunkle ihrer Seele. Oft soll die Kaiserin sogar nur Milch zu sich genommen haben und dennoch Gewaltmärsche beachtlichen Ausmaßes auf sich genommen haben. Über das Tempo bei ihren „Spaziergängen“ beschwerten sich beizeiten auch ihre sichtbaren und unsichtbaren Begleiter, etwa die Geheimpolizei, die ihr stets im Wagen folgte, weil sie per pedes einfach zu schnell unterwegs war. Sisis Fitnessprogramm hatte das reformerische Körperideal zum Ziel und das bedeutete nicht nur Selbstkasteiung durch stundenlanges Wandern oder Reiten, sondern zudem noch Turnen und sogar Fechten, was damals nicht nur als unweiblich, sondern auch noch als zutiefst republikanisch galt. Sisi „arbeitete mit allen Mitteln, die ihr zur Verfügung standen, an ihrem Körper und dessen Modellage“, schreibt die Biographin „der dunklen Seite der Kaiserin“ und betont, dass deren Idealmaße eben nicht gottgegeben, sondern schwer erkämpft waren.

Die nackte Kaiserin…
Der Kult mit ihren langen Haaren etwa führte sogar so weit, dass sie sie nachts an einem Balken aufhing, um damit endlich von ihrer Migräne befreit zu sein. Ihre Rehlederhosen wurden in Wasser getaucht, um möglichst dünne Beine zu haben, das Mieder zur „Kaiserin-Taille“ geschnürt und Überkleider sogar auf den Leib genäht. Neben diesem leicht als Verrücktheit abzutuenden Schönheitszeremoniell der Kaiserin (vgl.: „Kopfwaschtag“) hatte die gebürtige Wittelsbacherin aber auch tatsächlich verrückte Verwandte. Der Prominenteste darunter war sicherlich Ludwig II., König von Bayern, aber auch sein Bruder Otto und Sisis Schwägerin, Charlotte von Belgien, Gattin von Kaiser Maximilian von Mexiko, sowie der Kaiserin Schwester Sophie, die sogar interniert wurde, waren alles andere als „normal“. Die Biographin erklärt sich übrigens auch aus diesem Umstand Sisis Faszination für Irrenanstalten, die sie – im Gegensatz zu Staatsempfängen - ausnahmslos gerne besuchte, wohl um sich davon zu überzeugen, dass sie eh noch ganz normal war, zumindest im Vergleich… Abends legte sich die Kaiserin eine Maske aus frischen Erdbeeren aufs Gesicht, für das Dekolleté gab’s Kalbschnitzel und nasse Laken sollten die Leibesmitte vor Gewichtszunahme bewahren. Natürlich schlief sie – konform mit den reformerischen Ideen - immer bei offenem Fenster „an der frischen Luft“ und das sogar im Winter, selbstredend nackt. Im Schlafgemach sollte es so kalt wie möglich sein, das wäre dann auch gut für den Teint.

…und tätowierte Schmerzensmutter der schwarzen Romantik
Die „selbsternannte Mater Dolorosa“, Sisi, kann zweifellos als Anhängerin der schwarzen Romantik bezeichnet werden, schmückte sie doch auch ihr Schloss auf Kreta und die Hermes-Villa in Wien mit Statuen oder Gemälden aus dem Sommernachtstraum oder einer Melancholie-Statue im Schlafzimmer (!). Die kreative und schreibsichere Biographin der „dunklen Seite Elisabeths“ lässt etwa durch Neuinterpretationen der drei Ks (Kirche, Küche, Kinder) aufhorchen: für Adelige seien das eher die drei Rs, also Religion, Repräsentation, Reproduktion. Oder sie zwischentitelt in ihrem Buch mit Songtiteln der modernen Populärkultur (etwa: „Highway to Hades“, „Who‘s that girl?) und versucht immer wieder Referenzen zur selben herzustellen, etwa wenn sie eingangs Sisis Tätowierung erwähnt. Immer wieder findet die Biographin ansprechend geistreiche Zitate, zum Beispiel, wenn die Nichte Marie Larisch bei der Silberhochzeit 1879 den Gesichtsausdruck ihrer Tante als „eine indische Witwe, die verbrannt werden sollte“ beschreibt oder wenn sie von der „Klimakteriums-Fadesse“ der alternden Kaiserin spricht, die in Anlehnung an ihr großes Ideal Heinrich Heine, auch noch Gedichte verfasste. Die „ungarische Dame“ (ein zeitgenössischer Spitzname) sei aber durchaus auch politisch gewesen, und das zeitlebens zumindest zweimal: Einmal als Fürsprecherin des Ausgleichs mit Ungarn und beim Begräbnis von Ferenc Deak, dann auch als sie den Juden Heinrich Heine gegen Bismarck verteidigte. Aber auch Sisis freundschaftliches Verhältnis zu ihrer Rivalin Katharina Schratt, der Geliebten des Kaisers, kann als politisch-feministisch stilbildend bezeichnet werden: „Es sollte ein bisschen dauern, doch endlich lud Kathi wieder zu Kaffee, Kipferln und Kuchen.“ (sic), schreibt die Autorin, die man durchaus als Sofia Coppola („Marie Antoinette“, 2006) der historischen Biographieforschung bezeichnen könnte: so machen selbst die Habsburger wieder Spaß!

„Romantischer“ Tod am Genfer See? Oder: Die Herzbeuteltamponade
Kaiserin Elisabeth hatte sich ihren Todesort quasi selbst ausgesucht. Der Genfer See war ihr besonders ans Herz gewachsen: „Mein liebster Aufenthalt, weil ich da ganz verloren gehe unter den vielen Kosmopoliten“, so beschrieb sie die Schweiz. Dieselben Kosmopoliten übrigens, die von der liberalen Schweiz politisches Asyl bekommen hatten, waren durchwegs radikale Republikaner jedweder Schattierung. Hier wimmelte es 1898, im Todesjahr der Kaiserin, nur so von Anarchisten (Malatesta, Bakunin, Kropotkin), Sozialisten und Kommunisten (Lenin), schreibt die Biographin. Die „Lokomotive“ genannte „ewige Touristin“, die „Doriana Gray“, die selbst ihre Fotos, ihr „Bild“, kontrollierte, das Sonntagskind Elisabeth, starb an einer einfachen „Herzbeuteltamponade“ an einem Samstag im September. Elisabeth trug schon schwarz, bevor es modern war, schrieb Gedichte, revolutionierte die Rolle der Frauen und kann trotz ihrer masochistischen Diäten doch als Vorbild einer ganzen Generation „neuer“ Frauen gelten. Luigi Lucheni erfüllte Sisi unwissentlich ihren sehnlichsten Wunsch, allerdings ganz unromantisch mit einer Nagelfeile: „Ich wollte, meine Seele entflöge zum Himmel durch eine kleine Öffnung des Herzens“, hieß es in einem ihrer letzten Gedichte.

Michaela Lindinger
„Mein Herz ist aus Stein“.
Die dunkle Seite der Kaiserin Elisabeth
Mit vielen teilweise unveröffentlichten Fotos und Dokumenten
220 Seiten
Amalthea
2013

[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2013-08-21)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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