In ihren neuen, dem mittlerweile sechsundzwanzigsten Fall ihres venezianischen Commissarios Guido Brunetti, findet Donna Leon nach dem schon viel besseren letzten Fall wieder zu alter literarischer Stärke zurück. Zwar wird wieder, wie das in Italien eher die Regel zu sein scheint, der Schuldige nicht gefunden und verurteilt, aber daran hat man sich mittlerweile auch bei anderen Autoren wie etwa bei Camilleris Montalbano, schon gewöhnt.
„Stille Wasser“ zeigt Donna Leon, ihren Brunetti und auch die Lagune von Venedig von einer anderen, sehr nachdenklichen und philosophischen Seite.
Nachdem Brunetti bei einem Verhör eines hochrangigen Bürgers, der natürlich am Ende nicht für das Verantwortung übernehmen muss, was er offensichtlich getan hat, seinem Kollegen zur Hilfe kommt, der aus Wut kurz davor ist, dem Verdächtigen, dem Anwalt Antonio Ruggieri an den Kragen zu gehen, indem er einen Schwächeanfall vortäuscht. Das Verhör wird abgebrochen, Brunetti mit Verdacht auf Herzinfarkt in die Klinik gebracht und von dort mit dem dringenden Rat für eine berufliche Auszeit wieder entlassen.
Da es seinem schon lange gespürten Bedürfnis entgegenkommt, nimmt Brunetti diesen Rat an, und verbringt unter Vermittlung seiner Frau Paola zwei Wochen in einem Haus von Paola Verwandten auf der Insel Sant`Erasmo in der Lagune von Venedig.
Dort wohnt auch der alte Davide Casati, ein Mann, mit den Brunettis Vater schon ruderte und ein legendäres rennen gewann. Brunetti und Casati kommen sich bei zahlreichen Rudertouren durch die Lagune näher. Auf diesen Touren erfährt er viel über das bedrohte und schon stellenweise zerstörte Ökosystem der Lagune und das rätselhafte Sterben von vielen von Casati Bienenvölkern, die er auf vielen verschiedenen Inseln der Lagune aufgebaut hat.
Man ahnt als jemand, der vor Jahrzehnten genau die Nachrichten verfolgt hat, schon etwas davon, dass es wahrscheinlich um irgendeinen Umweltskandal gehen wird.
Und als Casati, dessen Frau vor einigen Jahren an Krebs gestorben ist, wofür er sich die Schuld gibt, eines Tages nicht mehr auftaucht und verschwindet, überredet Brunetti seinen Kollegen Vianello, sich kran k schrieben zu lassen und sozusagen undercover mit ihm nach Casati zu suchen.
Und sie kommen auf ganz alte Spuren und einen unglaublichen Skandal.
Donna Leon betont schon in ihren letzten Romanen immer wieder, in welch schrecklichem Zustand Venedig und seine Umgebung durch immer mehr Touristen und Umweltsünden sich befinden. Man spürt ihrem Buch ab, wie sehr sie unter dieser immer negativeren Entwicklung leidet und sie lässt auch ihren Commissario an ihrer Skepsis teilhaben.
„Stille Wasser“ ist trotz seiner klug aufgebauten Spannung ein nachdenkliches Buch.
Die hier vorliegende ungekürzte Lesung von Joachim Schönfeld besticht durch ihren ruhigen Duktus und eine Stimme, die sich hervorragend in die handelnden Personen hineinversetzt und das Hörbuch so zu einem wirklichen Erlebnis macht.
Donna Leon, Stille Wasser. Commissario Brunettis sechsundzwanzigster Fall (Hörbuch), Diogenes 2017, ISBN 978-3-257-80380-8
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2017-06-14)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.