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Donna Leon - Reiches Erbe
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Leon, Donna:
Reiches Erbe

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(Bücher frei Haus)

War es Mord? Oder war es doch nur ein Unfall? Oder doch Mord? Bis Seite 97 lässt Donna Leon den Leser im Unklaren, ob Commissario Brunetti seine Ermittlungen nun aufnehmen wird oder nicht, denn der „Mord“fall fängt dieses Mal ganz harmlos an: Anna Maria Giusti, die ihren sizilianischen Liebhaber Hals über Kopf in Palermo zurücklässt, findet in der Wohnung ihrer Nachbarin neben ihrer Post auch die Leiche der Wohnungsbesitzerin Costanza Alta vor. Obwohl sie einen Schlüssel für die Wohnung hatte, hätte sie dessen nicht bedurft, denn die Wohnungstür stand weit offen. In der Wohnung fehlte aber nichts, es konnte sich also kaum um Raubmord handeln. War es nur ein Herzinfarkt, der die alte Dame ereilte, oder wurde dieser absichtlich herbeigeführt? Zudem gibt auch noch ein dritter Schlüssel am Schlüsselbund dem eilends herbeigerufenen Brunetti Rätsel auf. Vice-Questore Giuseppe Patta will dieses Mal persönlich in die Ermittlungsmethoden eingeweiht werden, was Brunetti zusätzlich stresst. Es bleibt unklar, wie viele Mittagessen er in seiner trauten Umgebung bei seiner Angetrauten Paola versäumen muss, um diesen Fall endlich zu lösen. Doch mit Hilfe des Computers von Signorina Elettra geht es dann Gottseidank doch etwas schneller.

Das Altern, die Alten, und ihre Altersheime

Die Metaebene mit der sich die amerikanische Schriftstellerin in ihrem bereits zwanzigsten Abenteuer von Commissario Brunetti beschäftigt, ist aber eigentlich das Alter, und der Umgang mit unseren Alten, die allzu oft in die Heime abgeschoben werden und dort elendiglich ihre letzten Tage fristen. Einige von ihnen haben das Glück, reiche Angehörige zu haben oder durch Erbschaft zu so viel Geld gekommen zu sein, dass sie sich die besseren, nicht staatlichen, Alters- oder Pflegeheime leisten können. Wer dieses Glück der guten Geburt aber nicht hatte, wird schauen, dass er die, die er liebt trotzdem in einer casa di cura unterbringt, wo rund um die Uhr für sie gesorgt wird und muss sich dann halt verschulden oder eben kriminell werden. Morandi ist so ein Fall und für seine Angebetete ist er zu allem bereit, sogar dazu, dem Commissario eins auf die Nase zu geben, was dann aber ob der strategischen Klugheit Brunettis, doch noch verhindert werden kann. Denn dieser ist ja bekanntlich gegen Gewalt. Und außerdem braucht er seine Nase noch in seiner Eigenschaft als Önologe.

Reden ist Silber, schweigen ist Gold

„Sie war der Überzeugung, man solle immer die Wahrheit sagen, egal um welchen Preis.“, sagt eine von Brunetti verhörte Nonne über die verstorbene Costanza Alta. „Halten Sie das für einen Fehler?“, fragt der scheinbar naive Brunetti und sie erwidert sogleich: „Nein, aber für Luxus.“ Die Wahrheit können sich eben nur die Besitzenden leisten, das weiß nicht nur die Nonne, die Brunetti, an einer zentralen Stelle des Romans, den richtigen Hinweis gibt, obwohl sie eigentlich schweigt. „Tacet, tacet, tacet“ und doch ist auch das eine Form der Kommunikation, wie nicht nur John Cage in „4´33´´“ bewies. „Jedes Ereignis, ob gut oder schlecht, verblasst mit der Zeit, wenn man nicht darüber redet. Man vergisst zwar nicht, aber es wird schemenhaft.“ Aber ohne dieses Vergessen, könnte das Leben nicht weitergehen, darin stimmen sogar Vianello und Brunetti überein. „Das Leben geht weiter, ganz gleich, was einem von uns geschieht. Es setzt einen Fuß vor den anderen und pfeift mal traurig, mal heiter vor sich hin, hält aber niemals inne.“, lässt die Autorin einen ihrer Protagonisten sagen und so leer das auch klingen mag, so voll ist der Mund, der das ausspricht.

Antiklerikal, politisch unkorrekt, amerikanisch

Brunetti, der in diesem Roman immerhin zwei Moet-Korken knallen lässt und gerne mal ein Gläschen in einer Bar trinkt, wenn er es zum Mittagessen nicht nach Hause zu seiner Frau schafft, trifft sich mit Frau Orsoni, die Gründerin der Frauenorganisatin „Alba libera“, die endlich Licht in die Tätigkeiten von Signora Costanza Alta bringt. Das Glas Weißwein, das er in ihrer Gegenwart schlürft, sollte eigentlich ein „ombra“ sein, denn das ist das, was die Venezianer zwischendurch nun einmal so trinken. (Ombra heißt Schatten, den bekommt man aber nur, wenn man zu viel davon trinkt.) Für mehr Lokalkolorit hätte es auch gereicht, den Italienern mal beim Telefonieren zuzuhören, denn Donna Leon, die ja nun schon bald mehr als drei Jahrzehnte in Venedig lebt, sollte eigentlich wissen, dass man in Italien niemals mit „Si?“ auf einen Telefonanruf antwortet. Dennoch wiederholt sie es hartnäckig bei den verschiedensten Personen, sodass man es auch nicht als individuelle Eigenheit einer einzelnen Person erklären könnte. Sicherlich hat sie den Stadtplan von Venedig gut studiert, aber es ist halt doch ein sehr amerikanisches Venedig, das die Autorin hier beschreibt. Der Ausdruck „sibyllinische Dunkelheit“, ist das nicht eigentlich eine Tautologie? Ein Pleonasmus? Auch wenn die Seitenhiebe auf die katholische Kirche („Priester. Nonnen. Mönche. Bischöfe und ihresgleichen. Die haben den Rüssel schon in der Suppe, bevor der Teller auf dem Tisch steht.“) und die Gutmenschen („Wie wenig die sich aus Menschen machten, diese Leute, die sich dem Wohl der Menschen verschrieben.“) dann doch sehr wohltuend runtergehen und natürlich allein die Aufzählung venezianischer Straßennamen einem auf der Zunge zergeht, wird die „Grazie ihrer Gedanken allein von der ihrer Sprache übertroffen“, wie ich sie hier selbst gerne zum Schluss paraphrasieren möchte. Am Ende lässt nämlich auch Commissario Brunetti Gnade vor Recht ergehen und so ist nicht nur der Leser wieder mit der Welt versöhnt.

Zuletzt ist bei Diogenes auch erschienen: Donna Leon, Toni Sepeda: Mit Brunetti durch Venedig, Vorwort von Donna Leon. Aus dem Englischen von Christa E. Seibicke, Hardcover Broschur mit Klappen, 368 Seiten.

[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2012-06-17)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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