Philipp Lenhard - Café Marx. Das Institut für Sozialforschung von den Anfängen bis zur Frankfurter Schule
Buchinformation
100 Jahre Café Marx wie das in Frankfurt gegründete Institut für Sozialforschung flapsig genannt wurde sind ein guter Grund, sich näher mit dem später auch als Institut of Social Research bekannt gewordenen Forschungsinstitution zu beschäftigen. Dies hat der
DAAD Professor of History and German an der University of California, Berkeley, Philipp Lenhard, ausführlich gemacht und legt nun eine mehr als 600 Seiten starke Monographie zum Thema vor.
Gewidmet: einem siegreichen deutschen Rätestaat
Max Horkheimer, Theodor W. Adorno, Herbert Marcuse, Walter Benjamin, Leo Löwenthal, Erich Fromm und viele andere sind die bekanntesten Namen, die mit dem Institut verbunden werden. Gegründet wurde es allerdings von dem Mäzen Hermann Weil und seinem Sohn Felix Weil, der sich mit Richard Sorge und Karl Korsch schon auf den Barrikaden der Novemberrevolution Gedanken über eine solche Forschungseinrichtung gemacht hatte. Denn die Gründung des Instituts war eine "Reaktion auf das Scheitern der Revolution", wie Lenhard schon in der Einleitung hervorstreicht. Für viel ging es dabei aber nicht (nur) um die Bergung historischer Quellen, sondern um die politische Praxis der Gegenwart, wie etwa Gumperz oder Karl Korsch dem Marxismus als "Theorie der sozialen Revolution" auslegten. Anfang der Zwanziger Jahre war der Glaube an eine Weltrevolution noch so verbreitet, dass Felix Weil tatsächlich glaubte das Institut eines Tages "einem siegreichen deutschen Rätestaat" stiften zu können, wie Lenhard zitiert. Dabei hatte die gesellschaftliche Rechte schon unmittelbar nach der Revolution, im Januar 1919, durch die Ermordung Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs ihr Territorium klar markiert. Gemeinsam mit der (sozialdemokratischen) Regierung Ebert wurde genau die alte Ordnung, die zum Ersten Weltkrieg und 17 Millionen Toten geführt hatte, wiedererrichtet. Als Republik vorerst, aber die Tendenz war eindeutig schon klar: keine bolschewistischen Experimente in Deutschland. "Da steht der Feind, der sein Gift in die Wunden des Volkes träufelt. - Das steht der Feind - und darüber ist kein Zweifel: dieser Feind steht rechts!", rief SPD-Reichskanzler Joseph Wirth seinen Genossen 1922 zu. Die Ermordung des Liberalen Rathenau war ein weiteres Fanal gewesen.
Ad fontes!Zurück zu den Quellen
Wissenschaft war für die Vertreter des Instituts eben kein Selbstzweck, sondern ein Mittel zur Emanzipation. Um der marxistischen Forschung eine Heimstatt zu verschaffen wurde in Frankfurt sogar eigens ein Gebäude errichtet, das der Architekt Franz Roeckle wie eine Festung gestaltete. Es sollte aber keine "Mandarinen-Ausbildungsstätte" werden, wie betont wurde, wie der Wiener Professor Dr. Carl Grünberg, der erste geschäftsführende Direkter (1924-1929), bei der Eröffnungsrede betonte. Die marxistische Forschung sollte unabhängig und undogmatisch sein, "weil die Lehren der sozialdemokratischen Theoretiker sich durch den Weltkrieg und das Scheitern der Revolution blamiert hatten". Die Lösung lautete: ad fontes. Zu den Quellen! Bibliothek und Archiv wurden so zu zentralen Bestandteilen des Instituts, was sich besonders durch die Dislozierung des Instituts während des Nationalsozialismus als zusätzliche Hindernisse entpuppte. Erst wurde nämlich nach Genf, dann nach New York und schließlich Berkeley umgelagert resp. gesiedelt. Ausgerechnet im sonnigen Kalifornien entstanden übrigens Schlüsselwerke wie die "Dialektik der Aufklärung". Mit der Rückkehr nach dem Krieg 1949 etablierte sich schließlich die Frankfurter Schule als Intellektuellenschmiede ("Kritische Theorie"), die auch die kulturelle Revolution von 1968 wesentlich mitbeeinflusste resp. vorbereitete. So konnte die neuartige Forschungsinstitution, die Arbeiter und Studenten, Politiker und Künstler, Wissenschaftler und Intellektuelle anzog, vielleicht doch noch ihr Gründungsvermächtnis erfüllen und zu einer (kulturellen) Revolution beitragen. Philipp Lenhard hat eine konzise, anschauliche und voller überraschender Erkenntnisse steckende Monographie verfasst, die aufschlüsselt welcher historische Kontext die Exponenten des Instituts zu den Schlüsseldenkern des 20. Jahrhunderts machte. Lenhard geht außerdem der Entstehung der Kritischen Theorie in der amerikanischen Emigration nach und beleuchtet zudem ihre Entwicklung zur Frankfurter Schule in der frühen Bundesrepublik.
Philipp Lenhard
Café Marx
Das Institut für Sozialforschung von den Anfängen bis zur Frankfurter Schule
2024, Hardcover, 624 S., mit 6 Abbildungen
ISBN: 978-3-406-81356-6
C.H. Beck Verlag
34,00 €
[*] Diese Rezension schrieb: Juergen Weber (2024-10-29)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.