„Ich ließ den abscheulichen Geruch einer dumpfen Welt hinter mir, in welcher die Hilflosigkeit und die Gemeinheit an der Macht sind“, wird Thomas Bernhard aus seinem Rom „Ein Kind“ zitiert und genau darum geht es auch in dieser düstern Graphic Novel Geschichte aus Frankreich. Dass ein französischer Comiczeichner und Illustrator ausgerechnet diesen österreichischen Schriftsteller Zeit findet seinen Grund in der wohl tatsächlich stattgefundenen Geschichte um den kleinen Maxime, der von seinen vermeintlichen Gr0eltern entführt und in Mädchenkleider gesteckt wurde. Das Ehepaar Monsieur und Madame D’Octeville hatte ihr eigenes Mädchen verloren und sich an einem Parkplatz einfach eine neues geholt und da die beiden abgeschieden am Land lebten, flog die Geschichte nur durch einen Zufall auf. Und von diesem Zufall handelt vorliegende Geschichte.
Schweigen ist Mit-Schuld
„Im Namen Frankreichs, solch eine Kindesmisshandlung ist untragbar“ tagträumt der kleine Maxime von seiner Errettung durch den (damaligen) Präsidenten Giscard d’Estaing, aber sein Abgang ist selbst in ihrer Fantasie wenig hilfreich und lässt ihn in seinem Schlamassel alleine zurück. „Constance“ wie Maxime von seinen vermeintlichen Großeltern genannt wird, weiß um seine Andersartigkeit, aber er weiß nicht, dass er entführt wurde. Madame Adélaide D’Octeville erfüllt allerdings alle Klischees einer bösen Schwiegermutter, wie sie auch gerne in Märchen vorkommen, nur leider ist der Alptraum Maximes bittere Realität. Und Monsieur Emile D’Octeville ist ein klassischer Feigling: „Er war so feige, dass er während seiner fünfzigjährigen Ehe mit Adélaide alle Fehltritte dieser gewalttätigen Frau akzeptiert hatte. Sein Schweigen kam einer Zustimmung gleich.“ Aber schlussendlich ist es auch genau diese verkrachte melancholische Existenz – die außer ein paar Konten auf der Schweiz nichts mehr vom einstigen Metallindustrieimperium verwaltete – die eines Tages einen mutigen Entschluss fast.
Verantwortung und Sühne
Die dunkle Geschichte handelt von Verantwortung, der man sich nicht entziehen kann und die schlussendlich darüber entscheidet, ob man nicht doch noch ein guter Mensch wird. Aber selbst wenn man lange zögert: die Erleichterung des schlechten Gewissens von dieser unendlichen Last muss unendlich sein. Eine sehr realistische gezeichnete Geschichte in graphischem Stil, die besonders authentisch und dokumentarisch rüberkommt. Der 1978 in Frankreich geborene Illustrator und Comiczeichner arbeitet u.a. auch für die Liberation, L’Association und Le Monde und lebt in Paris.