Das ist wieder bestes, spannungsreiches asiatisches Kino, diesmal aus Süd-Korea. Der Film beginnt idyllisch, wird dann sozialkritisch, weitet sich zu einem ausgeprägten Psychodrama aus und schlägt noch die Richtung auf eine grausame Kriminaltragödie ein – um sie am Ende doch glücklich zu verfehlen.
Die beiden Protagonisten sind Su-min (Yeong-hoon Lee), ein Waisenjunge, und Chae-min (Han Lee), einziger Sohn eines reichen Industriellen. Su-min muss mit achtzehn das Waisenhaus auf dem Land verlassen, wo er glücklich gewesen zu sein scheint. Er kommt nach Seoul, arbeitet tagsüber am Fließband einer Fabrik und fährt abends alkoholisierte Barbesucher nach Hause. Dabei begegnet er Chae-min, ohne in ihm seinen Junior-Chef zu erkennen, und zieht sich sofort zurück, als der andere ihm ein eindeutiges Angebot macht.
Sie begegnen sich in der Fabrik wieder. Su-min zieht es vor, entlassen zu werden. Er landet wie andere Waisenjungen in einem Männerbordell. Chae-min sucht immer wieder seine Nähe, verfolgt ihn geradezu. Su-min kann in dem anderen nicht einfach einen Kunden sehen - doch für eine persönliche Beziehung jenseits des Geldes ist ihm der soziale Abstand zu groß. Dabei sagt er von sich selbst, er sei sehr stark. Er will als Prostituierter viel Geld verdienen, um später studieren zu können. Bald würde er am liebsten Seoul in Flammen aufgehen lassen.
Erst als Chae-min im Nachtclub durchdreht und überwältigt wird, akzeptiert Su-min den Gedemütigten, der sein Gesicht verloren hat. Sie freunden sich jetzt rasch an. Gleichzeitig betreiben Chae-mins Eltern dessen Hochzeit. Su-min fühlt sich hintergangen und selbst gedemütigt. Er erfährt nicht, dass Chae-min noch die Kraft für ein Coming-out gefunden hat. Der Plan eines Verbrechens aus Rache wird umgesetzt – und in dessen Verlauf erkennt Su-min, dass er den anderen nicht hassen, nicht vernichten kann.
Die beiden Hauptfiguren sind mental und in ihrer sozialen Stellung denkbar verschieden. Dass sie voneinander angezogen werden, ist für beide mehr als verstörend. Sie verlieren Stück um Stück ihre bisherige Identität, um am Ende nackt dazustehen, reduziert allein auf eine Zuneigung, die unzerstörbar scheint. Su-min büßt seinen Stolz, sein Selbstvertrauen, seine Tatkraft ein. Chae-min bricht mit allem, was ihm reiche Herkunft und konfuzianische Tradition bisher zwingend vorgeschrieben haben. Dieses Programm wird von überzeugenden Schauspielern hervorragend umgesetzt. Unterstützt wird es durch die schillernde Atmosphäre Seouls, die der Film in immer neuen Facetten einfängt.
Den Film durchströmt ein Realismus aus Empathie. Das erweist sich auch an bemerkenswert gut durchgestalteten Nebenfiguren, wie z.B. dem Bordellwirt. Er scheint eine Wiedergeburt von Prousts Jupien zu sein, so wie ihn Raoul Ruiz in „Die wiedergefundene Zeit“ vor Jahren auf die Leinwand gebracht hat. Hier ist er sentimental und brutal, geldgierig und großherzig geworden – und komisch.
Wir wissen so viel über Japan, über China – und so wenig über Süd-Korea. Der Film könnte einen veranlassen, sich mehr mit diesem fernen unbekannten Land zu beschäftigen. Auch seine Entwicklung hat zu unseren Lebzeiten eine dramatische Beschleunigung erfahren. Diese Dynamik voller Brüche ist in „No regret“ spürbar.
[*] Diese Rezension schrieb: Arno Abendschön (2012-07-31)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.