Der vorliegende Roman der französischen Schriftstellerin Agnes Ledig hat in seinem Ursprungsland Hunderttausende Leser und Leserinnen gefunden und sie nicht weniger bewegt, als den Rezensenten, der ab und zu gegen einen richtig guten und anspruchsvollen Liebesroman als Abwechslung nichts einzuwenden hat und das sehr genießen kann.
Der Roman erzählt die Geschichte der zu Beginn des Buches zwanzigjährigen Julie. Mit siebzehn wurde sie von einem jungen Mann wenig liebevoll geschwängert, und gegen den Rat ihrer Familie brachte sie das Kind zur Welt. Von ihren Eltern rausgeworfen und verstoßen, muss die intelligente Frau ihre Ausbildung abbrechen und ihren Traum einmal als Meeresbiologin zu arbeiten, begraben. Um ihren Sohn und sich einigermaßen durchzubringen, arbeitet sie in einem Supermarkt an der Kasse, wo sie sich nicht nur von vielen Kunden, sondern vor allem von ihrem Chef sehr viele, auch sexuelle Unverschämtheiten gefallen lassen muss.
Eines Tages kommt es an dieser Kasse zu einer Begegnung, die in der Folge das Leben nicht nur von Julie und ihrem Sohn verändern wird. Der wohlhabende Paul, der nach dreißig für ihn extrem unglücklichen Ehejahren von seiner Frau gerade verlassen worden ist, steht an der Kasse, bemerkt eine Träne in Julies Gesicht und spricht sie an. Er lädt sie zum Essen ein, und einige Tage später stimmt Julie dieser Einladung in der Mittagspause auch zu. Während des Essens lädt Paul Julie und ihr Kind spontan ein, ihren bevorstehenden Urlaub in seinem Haus in der Bretagne zu verbringen. Nach einer ausführlichen Beratung durch ihre Freundin, die ihr zurät, nimmt sie die Einladung an.
Sie verleben eine wunderschöne Zeit dort, und auch Pauls Sohn Jerome, ein Arzt, verwandelt sich dort von einem griesgrämigen Mann in einen durchaus liebenswerten Menschen. Bald schon wird deutlich, dass weder Paul noch Jerome der neue Mann in Julies Leben sein werden….
Als auf der Heimfahrt in den Elsass kurz vor dem Ziel ein schrecklicher Unfall geschieht, der Lulu ins Koma wirft, scheint alles bisherige Glück zu zerbrechen wie Glas. Doch ein Satz, der in diesem wundervollen Roman immer wieder zitiert wird, gibt Julie eine geradezu übermenschliche Kraft: „Lass den Mut nie sinken, sonst tust du es womöglich zwei Sekunden, bevor das Wunder geschieht.“
In Romain, dem Physiotherapeuten, der Julies Sohn im Koma täglich betreut, scheint dieses Wunder Wirklichkeit zu werden. Aber was ist mit Lulu?
„Kurz bevor das Glück beginnt“ ist ein bewegender Roman ohne Kitsch, der Menschen zeigt, die es nicht leicht haben in ihrem Leben, Menschen, die kämpfen um ihr Leben und ihre Liebe, die nach Tiefschlägen wieder aufstehen und den Mut nie sinken lassen. Ein Buch, das erzählt von tiefem Leid und großem Glück und dass man das eine nur erfährt, wenn man das andere anzunehmen bereit ist.
Eine Hymne an das Leben und die große Kraft der Liebe.
Agnes Ledig, Kurz, bevor das Glück beginnt, DTV 2015, ISBN 978-3-423-26058-9
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2015-05-26)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.