„Immer nur gefangen! Von Menschen mit Tücke und List. Immer nur umgangen, als ob man aussätzig ist.“ Herbert Lebram wird 1901 als Kind einer wohlhabenden deutsch-jüdischen Familie in Berlin geboren. Er wächst im Kaiserreich und der Weimarer Republik auf, in einer Zeit des Patriotismus und der Begeisterung für den ersten Weltkrieg. Er teilt die Euphorie, erlebt aber gleichzeitig, wie viele seiner Verwandten dem Krieg zum Opfer fallen und für ihr Vaterland sterben. Vor diesem Hintergrund schockieren ihn um so mehr Terror, Verfolgung und Tod, die den Alltag unter dem Nazi-Regime prägen. Herbert Lebram flüchtet 1939 mit seiner Frau in die Niederlande und sie verstecken sich dort bis zur Befreiung des Landes durch die Alliierten. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs beginnen die Lebrams in Amsterdam ein neues Leben. Die Sehnsucht nach seiner deutschen Heimat verlässt Herbert Lebram jedoch nie. Mitte der achtziger Jahre schreibt er seine Memoiren auf, in denen er sich insbesondere mit der Zeit vor 1945 auseinandersetzt. Als Irene Lebram die Erinnerungen ihres Vaters liest, ist ihr klar, dass diese nicht nur für die Familie, sondern auch zeitgeschichtlich von Bedeutung sind. Sie wendet sich an Rohnstock Biografien, wo Michael Lennacker die Aufzeichnungen von Herbert Lebram überarbeitet.
Bewertung
Das Buch ist ein beeindruckendes Zeugnis jüdischer Schicksalsverläufe. Die Zerrissenheit Herbert Lebrams zwischen patriotischen Gefühlen und dem Entsetzen darüber, nunmehr ausgesondert und unerwünscht zu sein, steht stellvertretend für viele deutsche Juden, die um die Jahrhundertwende geboren wurden. Der Alltag dieser Menschen, gekennzeichnet von antisemitischen Anfeindungen, Entbehrungen, Hunger und ständiger Angst, wird uns mit der Lebensgeschichte von Herbert Lebram wieder lebendig und uns eindringlich vor Augen geführt. Dies liegt vor allem an der Authenzität der Biografie, die nicht nur durch ihre bedrückenden Aussagen, sondern auch ihren spannenden Verlauf fesselt. Der Zwiespalt, in dem Herbert Lebram lebte, wird nicht durch die Worte allein, sondern auch durch die Gestaltung des Buchs auf gelungene Weise veranschaulicht: Die Kapitel zu seiner Kindheit und als Erwachsener wechseln sich ab, bebildert mit Originalfotos von Personen, Dokumenten und Gedichten. Aus den Erinnerungen von Herbert Lebram können wir für uns wichtige Botschaften mitnehmen: Auch in Zeiten des Schreckens kann man sich seine Menschenwürde bewahren, es gibt Momente der Menschlichkeit und des Glücks. Das Glück zu überleben, ermöglicht es, eigene Erfahrungen weiterzugeben, „um Dich zu warnen, was aus Menschen werden kann“. Gleichzeitig liegt darin die Chance der Versöhnung: „Hast mich gewarnt, doch nicht gelehrt zu hassen“. Fazit: Das Buch reicht weit über einen Zeitzeugenbericht hinaus und ist nicht zuletzt deshalb lesenswert.
[*] Diese Rezension schrieb: Katja Radeck (2008-11-28)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.