Random Family. Love, Drugs, Trouble and Coming of Age in the Bronx” erschien 2003, aber es dürfte wohl nicht nur heute immer noch aktuell sein, sondern schon vor 50 Jahren die ziemlich triste soziale Situation in New York getroffen haben. Die Beschreibung der Lebenssituation in der sich die größtenteils noch minderjährigen Jugendlichen befinden ist teilweise so beeindruckend hart, dass einem förmlich die Spucke wegbleibt. „Love don`t live here anymore“ wäre wohl der passende Begleitsoundtrack dazu, eine soziologische Studie als Roman erzählt über das wahre Leben am Rande der Gesellschaft, dessen Mitte längst diese verelendeten Massen geworden sind.
Die Hoffnung auf Besserung gibt man schnell auf, wenn man so wie Jessica mehrere Kinder von verschiedenen Väter hat und dabei selbst noch ein Kind ist, das bei seiner alleinstehenden Mutter wohnt, die es selbst wiederum kaum schafft, zu überleben. Die Männer schleichen sich spätestens nach der Schwangerschaft, oder sie haben schon andere Freundinnen während der einen Schwangerschaft, weil die erste dann ja – aus verständlichen Gründen – nicht mehr so richtig will. Ausdruck von Liebe sind dabei oft nur die verzweifelten Schläge, erst die der frustrierten und selbst drogenabhängigen Mutter, später dann die ihres Verehrers, des Oberdealers, der sie im Mercedes hofiert, sie in teure Restaurants ausführt, um sie später dann selbst zu verprügeln.
„Die erste Woche im Monat, nachdem der Scheck von der Sozialhilfe kam, war die Beste – man konnte sich etwas leisten, sie vermittelte einem das Gefühl einer gewissen Betriebsamkeit. Auch die Dealer auf der Strasse merkten, dass die Geschäfte besser liefen“, schreibt Adrian Nicole Leblanc. Sie verwendet schöne sprachliche Bilder für eine triste und hoffnungslose Situation, etwa: „ihre verwässerten Hoffunungen tröpfelten leise vor sich hin, währen ihr Bier in der Sonne warm wurde“, oder: „Er kniff die Augen zusammen, als habe er gerade an einer Zitrone geleckt“. Die Lust sich zu prügeln ersetzte nur eine andere Art hormoneller Kommunikation und jeder Wutausbruch hatte durchaus eine reinigende, kathartische Funktion auf das Gemeinwesen. Die gelangweilten Jugendlichen hatten wieder ein Thema, über das sie reden konnten. Denn über so etwas wie Bildung, darüber konnten sie sich in ihren drogenverseuchten Schädeln ohnehin nicht unterhalten. Erfolg war schon, nirgendwo runterzufallen, denn ans Hinaufklettern mussten diese Jugendlichen gar nicht einmal denken. Am besten der Satz: „Jungfräulichkeit konnte dir zu neuen Turnschuhen verhelfen“. Gibt es eine bessere Art den moralischen und sittlichen Verfall zu illustrieren? „Für die Jungs bedeutete eine Jungfrau so etwas wie eine Trophäe. Es war wie ein Gewinn beim Pokern – voller Hoffnung streifte man durch die Straßen, und wenn sich die Chance ergab, setzte man mit kalkuliertem Risiko.“ Die Mädchen würden immer eine Schwäche für ihren ersten Liebhaber haben. Und vielleicht können wirklich nur die Mädchen diese Jungs von der Straße holen. „Attention attraction“ hin oder her!
Adrian Nicole Leblanc hat mehr als zehn Jahre die Jugendlichen in der Bronx begleitet und daraus ein bewegendes Tagebuch der Straße verfasst, das ganze ohne falsche Moralisiererei auskommt, sondern die Dinge einfach beschreibt wie sie sind, sie beim Namen nennt. Man braucht viel Mut, dieses Buch zu lesen, aber wer etwas über das tatsächliche Leben im heutigen Amerika erfahren möchte, sollte das wirklich tun. Vielleicht lässt sich ja doch noch etwas verändern. Yes, we can!
Adrian Nicole Leblanc
Zufallsfamilie
Liebe, Drogen, Gewalt und Jugend in der Bronx
Aus dem Amerikanischen von Richard Obermayr