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Günter Kunert - So und nicht anders
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Kunert, Günter:
So und nicht anders

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(Bücher frei Haus)

Ein wichtiges Nachkriegslyrikurgestein zu sein - ist das ein Ehrentitel? Man muss es wohl so sehen, und es ist auch eine Charakterisierung, die auf wenige so wie auf Günter Kunert zutrifft, dessen achtzigster Geburtstag im Jahr 2009 irgendwie vor lauter Schiller- und Mendelssohn-Bartholdy-Jubiläen in der Wahrnehmung am Rezensenten vorbeigegangen sein muss. Um so schöner, dass es der Hanser-Verlag bereits sieben Jahre zuvor unternommen hat, eine Retrospektive seines poetischen Schaffens zusammenzustellen, die nach wie vor erhältlich ist. "So und nicht anders" lautet der Titel dieser lyrischen Lese, und gleich das erste Wiedersehen mit Versen aus Kunerts frühen Veröffentlichungen rufen das Erinnern an die Schulbücher der eigenen Kindheit wach: "Als der Mensch/unter den Trümmern/seines/bombardierten Hauses/hervorgezogen wurde,/schüttelte er sich/und sagte:/Nie wieder.//Jedenfalls nicht gleich." Das ist die klare epigrammatisch-belehrende Linie Brechts. Doch auch vom anderen lyrischen Großmeister jener Jahre, Gottfried Benn, ist schon der frühe Kunert beeinflusst. Von Benn, dem gleichsam am anderen Ende der literarischen Moderne Verorteten, hat Kunert das Eigenbrötlerisch-Zurückgezogene. Dabei wird er nie so dunkel-geheimnisvoll und so opulent im Ausdruck wie Benn, seine Trauer und sein Misstrauen gegenüber der Möglichkeit, Menschen und Gesellschaften zu verändern, sind schlichter: "Auf den Friedhöfen der toten Dichter/triumphiert die Macht/über die Ohnmacht des Wortes", heißt es beispielsweise in einem Gedicht aus dem Zyklus "Abtötungsverfahren" von 1980. Wenige Dichter haben dieses "Wir können nichts tun" so eindringlich in Worte gefasst wie Kunert: "Ruinenstätte//Umkleiden mit Fleisch/die Skelette. Wiederaufrichten/der Mauern. Atem einblasen/allem Toten und zuschauen/wie es neu lebt/um zu sterben: Unhaltbar/so wie im Schlaf deine Hand/der meinen entgleitet." Und doch treiben uns diese Worte an, lässt uns die Trauer über die Hilflosigkeit mit der Gebärde des Dennoch erneut nach der Hand des anderen greifen, als akzeptierten wir diese Verse zwar als richtig und könnten doch nicht anders, als es immer wieder neu zu versuchen. Aus Kunerts Gedichten spricht stets das Bekenntnis zur Menschlichkeit wider alle Partei- und Staatsraison, wider alle Religionen und Ideologien, gleichzeitig sieht er aber auch die Sinnlosigkeit, dagegen zu opponieren. Solange es Menschen gibt, die sich den unseligen Strömungen des Zeitgeistes widersetzen, gilt ihm das sarkastische Gesetz: Du hast keine Chance, aber nutze sie. Das Problem, dass der Mensch des Menschen Wolf sei, wird als welt-immanent betrachtet: "Doch es leuchtet kein Licht/wo wir sind für uns mehr/und das Dunkel kommt/aus uns selber//Aus blinden Augen/fällt Finsternis/bevor die Hand/ins Leere greift." Bei aller seinen Gedichten innewohnenden Melancholie und Hoffnungslosigkeit ist der Mensch Kunert offenbar durchaus kein Trauerkloß - er reflektiert jedoch wohl diesen Teil seiner Persönlichkeit in den Gedichten, bannt sie, hält sie unter Kontrolle, bevor sie ihn auffressen. Das ist eine der archaischen Aufgaben von Kunst schlechthin, und Kunert bewältigt sie eben nicht nur für sich selbst, sondern für all seine aufgeschlossenen Leser. Das mag der Antrieb sein, der den Dichter auch im Alter nicht verstummen lässt - seit der Retrospektive "So und nicht anders" sind bereits mehrere weitere lyrische Werke mit neuen Texten von Günter Kunert erschienen. Einem Urgestein erkennt man gemeinhin die Eigenschaft zu, beständig zu sein, aber auch porös und schartig. Die Zeit hat an ihm gearbeitet und es selbst an der Zeit, in dem es ihr trotzte. So hat auch Kunert sich in seinem Ton und in seiner formalen Gestaltungsweise über die Jahrzehnte hinweg etwas abgeschliffen, jedoch nicht wirklich verändert. Den freien Rhythmen der meisten seiner Gedichte ordnen sich denn auch immer wieder kongenial strophische und kreuzgereimte Verse bei: "Vorwärts ins Nichts und Unheil gesät/für die kommenden Generationen./Die Schrift an der Wand, das Gedicht verrät,/die Zukunft wird keinen verschonen." Und so bleibt vor allem letztlich die Prägung, die wir Jüngeren durch die Zeilen aus unseren Lesebüchern erfuhren, "So und nicht anders" ist es wohl wirklich: "Den Fischen das Fliegen/Beigebracht. Unzufrieden dann/Sie getreten wegen des/Fehlenden Gesanges." Kunerts Werk und sein Einfluss auch auf jüngere Autoren ist zweifellos bleibend, und uns sind noch viele Gedichte von ihm zu wünschen.

[*] Diese Rezension schrieb: Marcus Neuert (2010-06-20)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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