Es gibt sie wieder! Ende der Siebziger/Anfang der Achtziger erschienen im Rowohlt Verlag die ersten Sachcomics zu Themen wie Trotzki, Lenin, Marx und Freud. Der erste, der diesen Boom verursacht hatte, war ein gewisser Rius, der später auch mit einer Che Guevara Biographie als Graphic Novel (Titel: A B Che) für Aufsehen gesorgt hatte. Das Genre lebt also wieder, was nicht zuletzt die Existenz vieler neuer Verlage beweist, die sich dieser Literaturvariante widmen. Die Tibia Press - also www.infocomics.de - hat eine Vielzahl solcher Graphic Novels mit philosophischen, politischen und psychologischen Inhalten im Programm und eine davon ist dem slowenischen Philosophen Slavoj Žižek gewidmet. Das Tolle an den Infocomics: sie geben einen komprimierten Überblick über das Werk des Behandelten und ermöglichen so, sich die eine oder andere Rosine dann in selbständiger Recherche herauszupicken.
Denn sie wissen nicht, was sie tun…
„Der große Andere ist immer präsent“, heißt es da und wen Žižek damit meint, wird einfach und anschaulich erklärt: „Wir alle wissen, dass der Kaiser in Wirklichkeit nackt ist, aber dennoch geben wir uns bereitwillig der Täuschung hin, dass er neue Kleider trägt, indem wir uns der symbolischen Ordnung unterwerfen.“ Der große Andere sei nur insofern existent, als wie die Menschen an ihn glauben würden. Denn der große Andere basiere eigentlich auf einem Mangel. Wie die Existenz des Subjekts sei auch seine Existenz lediglich ein Affekt des symbolischen Systems. Lacan – einer der Philosophen auf den sich Žižek stützt – meinte, die Subjektivität sei ebenfalls ein Mangel, den unser Unbewusstes darstelle. Das Unbewusste existiere als ein blinder Fleck in der Subjektivität; sie sei ein Vakuum, eine Fiktion. Die symbolische Ordnung sei dabei das Meer, in dem ich schwimme und entziehe sich dennoch meinem Zugriff, so Žižek in einer Extrapolation Lacans.
Die eigentliche obszöne Instanz Über-Ich
Die Teilnahme an dem durch Geld vermittelten Austausch bedeute die Aufrechterhaltung des symbolischen Systems und damit des großen Anderen, so klingt Marx in den Worten Žižeks: „Sie wissen es nicht, aber sie tun es.“ Bei Freud ist der große Andere niemand anderes als das „Über-Ich“: die allgegenwärtige Autorität, die in jedem Menschen wirke. Das Über-Ich fungiert als Wächter der symbolischen Ordnung, und damit auch über die Bedeutung dessen, welche Regeln, Moralvorstellungen und Normen in einer Gesellschaft (vor)herrschen. Žižeks polemische These besteht nun darin, dass das Gesetz selbst seine Verletzung hervorrufe. Unser Gehorsam sei nichts Natürliches und Spontanes, sondern vielmehr durch den Wunsch vermittelt, gegen das Gesetz zu verstoßen. „Je strenger wir also dem Gesetz gehorchen, desto mehr beweisen wir, dass wir tief in unserem Inneren den Druck verspüren, uns der Sünde hinzugeben.“ Die eigentliche obszöne Instanz sei als das Über-Ich, das in jedem Subjekt wirke. Slavoj Žižek hat diesen Aspekt seiner Philosophie anhand des Hitchcock-Klassikers „Psycho“ eindringlich illustriert: erst als Norman Bates seine Mutter in den Keller räumt, erwacht sie wieder zum Leben und betört ihn.
Gegen den Genuss, Achtung vor den Fiktionen!
Aber Žižek hat sich auch als großer Kritiker der Konsumkultur und der 68er hervorgetan. Die herrschenden Ideologien würden heute den hemmungslosen Genuss quasi „verordnen“: sexuelle Lusterlebnisse, Konsum, Genuss durch den Erwerb von Waren, bis hin zu spiritueller Erbauung und Selbstverwirklichung. Es gebe heute eher einen Druck, seine Wünsche zu befriedigen: „Paradoxerweise ist der Genuss in seinem innersten Wesen etwas Aufgezwungenes, Verordnetes.“ Der heutzutage vom Über-Ich diktierte Genuss sei daher ein „perverser Genuss“, „weil das Über-Ich keinen wirklichen Genuss verordnet, sondern eine imaginierte, simulierte Idee von Genuss“. Am Beispiel des Malers Marko Rothko illustriert Žižek aber auch die Gefahr einer zur Konsequenz geführten Philosophie: „Fiktionen strukturieren unsere Realität. Beraubt man die Realität der symbolischen Fiktionen, durch die sie konstruiert wird, verliert man die Realität selbst.“ Rothko RIP.
Andere Kapitel beschäftigen sich u.a. mit Ethik, Politik und Ideologie, Religion und Kunst, Literatur, Kino, Unternehmensmarketing, Quantenphysik, virtuelle Realität, Oper, Popkultur, Film, Marxismus und Psychoanalyse. „Žižek - ein Sachcomic“ verschafft einem einen interessanten illustrierten Überblick über die Philosophie des stets grimmig dreinblickenden Atavars, der in der Realität doch sehr viel mehr lacht, als in diesem Sachcomic, denn trotz aller Kritik, gehört Žižek wohl zu einem der lebensfrohesten Philosophen der Welt. Im Anhang finden sich alle Quellen zur weiterführenden Lektüre.
Piero/Christopher Kul-Want
Slavoj Žižek. Ein Sachcomic
Buch, Pb | 12,5 x 18 cm | 176 Seiten |
10,00 € (D) | 10,30 € (A) | 14,90 sFr
ISBN 978-3-935254-34-2
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2012-09-04)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.