Als es einem mit „Kartongeschichte“ erstmals begegnete, fand man Kraussers aller Wahrscheinlichkeit spottende, dezidiert auf Amüsement und Verblüffung gezieltes Schreiben unfassbar frech und knackig. Daniel Kehlmann, gleichfalls Neu-Berliner, lässt sich auf dem Umschlag von „Einsamkeit und Sex und Mitleid“ mit „Das witzigste Buch des Jahres“ zitieren. Mit dem zehn Jahre Älteren scheint ihn eine Art Allianz unter Cleverness-für-die-große-Menge-Schriftstellern zu einen. Man darf sogar fragen, ob das für Kehlmanns „F“ aus dem Jahr 2013 nicht eben unwichtige „Butterfly“-Messer sich von dem „Schmetterlingsmesser“ in der Hand eines ausländischen Jungen in „Einsamkeit und Sex und Mitleid“ hergeleitet hat.
Leute rennen herum und suchen das Glück. Welches ihnen zuerst ein guter Sex und, daraus entstehend, die Liebe zu versprechen scheinen. Im Unterschied zu Sybille Berg und Daniel Kehlmann ist am Ende niemand tot. Die Möglichkeit einer glücklichen, stabilen, heterosexuellen Zweierbeziehung wird freundlicherweise zugestanden. Privat hat Helmut Krausser auch eine, aber Schmalzier oder Schönfärber ist er nicht. Eher ein „zynischer Autor“, welcher eine Figur vier Mal in Folge über dasselbe Stöckchen hinterrücks in den Dreck fallen lässt, falls die Leser das lustig finden.
Ein Escort, Vincent, verliebt sich in eine Hure, darf seither in die Körper seiner Kundinnen nicht mehr kommen. Vincents Kundin Julia, eine Karrierefrau, die gerade ihre Scheidung von einem nicht dynamischen Lebensmittelmarkt-Filialleiter abwickelt, kommt ohne Vincents Sperma nicht zurecht. Julias Ex, Uwe, weiß nach dem - zwar phänomenalen - Sex mit einer Internetbekanntschaft nicht so richtig, ob er in den Radar einer Stalkerin geraten ist und sich schnell retten sollte. Sarah, eine von Julias Freundinnen, die in offener Partnerschaft lebende Gattin eines Dr. Stern, war lange keusch und findet jetzt ihre masochistische Neigung heraus sowie, dass man diese beim Paintball-Schießen ausleben kann. Schließlich bezahlt sie Gigolo Vincent, damit er sie beim Masturbieren mit Farbbeuteln beballert.
Unterdessen unterhält Sarahs Ehemann Dr. Stern eine Liaison mit der jungen Mitarbeiterin Carla, die ihm vielleicht nicht ganz gut tut. Jedenfalls entwickelt Carla nebenbei einen Fimmel für „gut bestückte Neger“. Vor dem Bielefelder Hauptbahnhof hat Dr. Stern ein politisch nicht korrektes Gespräch mit einem jungen Ausländer, Carla, welche Kickboxen beherrscht, haut ihn heraus. Aber die Peer Group dieses Jungen, Ümal, motiviert ihn, Stern hinterher nach Berlin zu fahren und seine Ehre mit der Waffe in der Hand zu verteidigen. Auch der Punk Holger zieht nach Berlin und zwar in den Schlafsack von Hausbesetzerin Sybille. Die aber hat eine hysterische Angst vor Schwangerschaft und eine Ratte als Haustier, mit der man sich nicht anlegen darf.
Dem erwähnten laschen Filialleiter Uwe nimmt Holger 200 Euro ab, lädt die Punks in die Kneipe ein und macht einen Ausländer, Mahmud, platt, der dort eine große Lippe riskiert hat. Dieser Mahmud hatte es schon länger schwer, er will an die Jungfräulichkeit des fünfzehnjährigen Aussiedlermädchens Swentja ran, die aber vom Reinheits-Wahn-Christen Johnny mit Beschlag belegt worden ist. Mahmud bietet Geld für Lecken, die Angelegenheit kommt fast in Schwung, doch Swentja kann nicht akzeptieren, dass sie in Mahmuds muslimischen Augen dadurch zu einer „Hure“ würde.
Ihre jüngere Schwester, Sonja, ist entführt worden. Die Eltern drehen hohl. Ekki, ein des Missbrauchs beschuldigter und vorzeitig verrenteter Lateinlehrer, der Vorträge über die römischen Orgienkaiser und Gerichte mit Kalbsleber-Abschnitten hält, könnte was wissen. Ekki hat sich den Zorn des Filialleiters Uwe aufs Haupt gezogen und auch noch mit Minnie Probleme, einer dicken, jungen, schwarzen Frau sowie zusätzlich Besitzerin des erwähnten Lokals (Punks-Runde), sie nämlich denkt, der ältere Herr mache ihr schöne Augen.
Zitat:
„Wie spielt diese Niggerfotze sich auf?“
„Was willst du? Sie ist doch kulant!“
Mahmud hatte vorgehabt, mit Johnny ein Bier zu trinken und - von Mann zu Mann - über Frauen zu reden. Nicht aber über Niggerfotzen, die ihn als Kind betrachteten. Und wie bereitwillig Johnny auf diese Kontrollspielchen eingegangen war, stieß ihm übel auf.
„Du hältst dich also für erwachsen, ja?“
Johnny registrierte, daß Mahmuds Stimme jeder versöhnliche Tonfall abhanden gekommen war.
„Das sind doch nur Zahlen, versuchte er ihn zu beschwichtigen. „Ich kann doch nichts dafür, wie alt ich bin, oder wie jung du bist.“
„Es geht nicht darum, wie alt oder jung ich bin. Die fette Sau will hier keinen Araber hocken haben. Darum gehts!“
„Wie spielt diese Niggerfotze sich auf?“
„Was willst du? Sie ist doch kulant!“
Mahmud hatte vorgehabt, mit Johnny ein Bier zu trinken und - von Mann zu Mann - über Frauen zu reden. Nicht aber über Niggerfotzen, die ihn als Kind betrachteten. Und wie bereitwillig Johnny auf diese Kontrollspielchen eingegangen war, stieß ihm übel auf.
„Du hältst dich also für erwachsen, ja?“
Johnny registrierte, daß Mahmuds Stimme jeder versöhnliche Tonfall abhanden gekommen war.
„Das sind doch nur Zahlen, versuchte er ihn zu beschwichtigen. „Ich kann doch nichts dafür, wie alt ich bin, oder wie jung du bist.“
„Es geht nicht darum, wie alt oder jung ich bin. Die fette Sau will hier keinen Araber hocken haben. Darum gehts!“
Mahmud hat in Minnies Lokal dem Punk Holger die Hose mit Pisse eingesaut und eine Abreibung bekommen, die ihm am Schluss ein nicht schlechtes gemeinsames Nacktduschen mit Swentja einbringen wird. Swentjas und Sonjas Vater bekommt von Janine, Tanzlehrerin, einst Ballettstar in Darmstadt (Karriereabbruch wegen Spasmen), geraten, sich locker zu machen und die Homosexualität einfach mal rauszulassen. Diese Janine lernt im Internet einen Superhengst fürs Bett kennen, Uwe, so gut wie geschieden, Filialleiter.
So vergnüglich und umwerfend schlitzohrig jede einzelne der über zweihundert Seiten von „Einsamkeit und Sex und Mitleid“ für den Moment auch wirken mag, mit der Zeit stellt Überdruss sich ein. Wie in einem dieser dümmlichen Omnibusfilme kommt man sich vor, wo sämtliche angeblichen deutschen Lieblingsmimen von Heike Makatsch bis Christian Ulmen sich beim Joggen oder im Dachterrassenrestaurant vor der Kulisse des Fernsehturms über den Weg laufen. (Welchem auch immer. Bei Krauser natürlich dem Berliner.) Ein Kritiker hat es „Lindenstraße für Fortgeschrittene“ genannt. Stichwort Lindenstraße: Natürlich könnte Krausser, das traut man ihm zu, ständig weiter ein paar Seiten und noch paar Figuren und Episoden dranpappen, bis es 2.000 Seiten ergäbe. Zum Glück ist es so nicht gekommen. Man kann dieses geteilte Vergnügen schon nach 200 in die Ecke bzw. Tonne pfeffern.
[*] Diese Rezension schrieb: KlausMattes (2015-08-02)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.