Die „schwarze Romantik“ geht eigentlich auf eine junge Generation von Literaten und Künstlern des 18. Jahrhunderts zurück, die „im Schatten hinter dem Licht er Vernunft“, also der Aufklärung, sich den dunklen Seiten des Lebens widmete. Erstmals als literarisches Genre beschrieben wurde sie aber erst von Mario Praz in den Dreißigern des 20. Jahrhunderts und die Übersetzung von „Liebe, Tod und Teufel. Die schwarze Romantik“, in dem er die Bewegung definierte, erschien auf Deutsch gar erst im Jahre 1963. Höchste Zeit also, dass diesem einzigartigen Thema eine Ausstellung gewidmet wird, denn die schwarze Romantik hat sich längst über die Grenzen der Literatur hinaus zu einem internationalen genreübergreifenden Phänomen entwickelt. Der vorliegende Ausstellungskatalog bezieht sich auf die noch bis Januar 2013 im Städel Museum in Frankfurt laufende Ausstellung, die über 200 Werke der schwarzen Romantik aus Malerei, Skulptur, Grafik, Fotografie und des Films erstmals unter einem Dach vereinigt.
Liebe, Tod und Teufel
Die „schwarze Romantik“ erzähle von Einsamkeit und Melancholie, von Leidenschaft und Tod, vom Erhabenen der Natur und dem Irrationalen der Träume, so der Direktor des Städelmuseums im Vorwort. „Die gesellschaftlich Ausgegrenzten werden zu neuen Helden erhoben und eröffnen den Blick in die Abgründe der Conditio humana“, so Max Hollein, der damit auch den Surrealismus und Symbolismus in die Nähe der schwarzen Romantik rückt. Während in Deutschland Immanuel Kants „Kritik der reinen Vernunft“ erschien, habe man in der Schweiz die letzte vermeintliche Hexe verbrannt, bringt Felix Krämer in seiner Annäherung das 18. Jahrhundert auf einen Punkt. Auch die Französische Revolution, die zunächst doch Licht in eine dunkle Epoche brachte und als Krönung der Aufklärung weiter über Europa hinaus strahlte, kehrte sich bald in ihr Gegenteil um und proklamierte die „Tugend des Terrors“. Die Welt war wahrlich aus den Fugen geraten, denn bald überzog ein grausamer Krieg die ganze zivilisierte Welt. Francisco de Goya hat wie kein anderer die Gräuel dieses Krieges dokumentiert.
Shocking!
Im Gegensatz zum Klassischen „Romantisch das Kranke“ sei, diagnostizierte Goethe noch im folgenden 19. Jahrhundert, gleichsam während er den Faust schrieb, ein Beispiel der deutschen Romantik schlechthin, das so viele andere Künstler noch bis heute beeinflussen sollte. Er fand übrigens einen guten „Illustrator“ seines Werkes in Eugene Delacroix, der Schöpfer des „Floßes der Medusa“, aber eben auch des Faust-Zyklus, der übrigens in vorliegender Publikation in Großformat zu bewundern ist. Mit „Shocking!“ soll übrigens kein Geringerer als Horace Walpole, der Verfasser der ersten Gothic Novel, das Bild „Der Nachtmahr“ des Schweizers Johann Heinrich Füssli bezeichnet haben. Schockierend vor allem auch deswegen, weil Füssli Priester war, der – so kursierten damals in London Gerüchte – vor dem Schlafen blutiges Fleisch und Drogen konsumiere, um Visionen für seine Kunst zu nähren. „The wild swiss“ gilt als Meister des Grauens vor dessen Bildern die Betrachter labiler Gesundheit sogar eindringlich gewarnt wurden.
Von der Freiheit und dem Erhabenen
„Was im Leben abstoße, könne in der Kunst durchaus erfreuen“, schrieb schon Aristoteles in seiner Poetik, aber noch passender ist vielleicht das Friedrich Schiller Zitat, das Krämer zur Erklärung der Faszination für das Düstere anführt: „Das Erhabene verschafft uns einen Ausgang aus der sinnlichen Welt, worin uns das Schöne immer gefangen halten möchte.“ Im Widerspruch zwischen Vernunft und Sinnlichkeit liege der Zauber, der unser Gemüt ergreife und uns durch seinen Nervenkitzel nicht nur die Freiheit spüren lassen, sondern auch die Gewissheit, eine Prüfung bestanden zu haben, die uns in unserem Selbstbewusstsein bestätige. Weitere Essays verschiedenster AutorInnen beschäftigen sich auch mit Goya, Satans Erben, Romantik in der Oper und im Film, Surrealismus, Symbolismus und der französischen und deutschen Romantik.
Die spektakuläre Ausstellung „Schwarze Romantik“ im Städel Museum in Frankfurt am Main ist noch bis 20.1.2013 ebendort zu bewundern. Zudem sind im Hatje Cantz Verlag auch „Die Masken über dem Nichts. Schauermärchen und Gruselgeschichten zur Schwarzen Romantik“ (auch als E-Book) und in der Reihe „Kunst zum Hören“ von Hanna Schygulla ein Buch mit CD, der Audioguide zur Ausstellung, erschienen, der wichtige Meisterwerke anhand eines kompakten, begleitenden Bildbands bespricht.
Schwarze Romantik
Von Goya bis Max Ernst
Hrsg. Felix Krämer, Texte von Roland Borgards, Ingo Borges, Claudia Dillmann, Dorothee Gerkens, Johannes Grave, Mareike Hennig, Hubertus Kohle, Felix Krämer, Franziska Lentzsch, Alexander Meier-Dörzenbach, Manuela B. Mena Marqués, Nerina Santorius, Claudia Wagner, Gestaltung von Christina Hackenschuh
Deutsch
2012. 304 Seiten, 360 Abb.
23,90 x 28,70 cm
gebunden mit Schutzumschlag
Lieferbar
ISBN 978-3-7757-3372-4
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2012-11-11)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.