Christian Kracht, der einige Jahre seines Lebens in Asien verbracht hat und die Lebensumstände dort so gut kennt wie das alte Flair und Stigma des Kolonialismus, hat sich in die Vergangenheit begeben, um einen Roman zu schreiben, der mit gutem Recht als eine Parabel bezeichnet werden kann. Nicht nur, dass er in die Vergangenheit und in eine geographisch ferne Welt geht, um eine zeitgenössische Entwicklung und die in ihr liegenden möglichen Tendenzen zu beschreiben, nein, er greift auch auf historische Begebenheiten zurück. In dem Roman Imperium nimmt er sich eine Bewegung vor, die es tatsächlich in verschiedenen Varianten bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts bis in die dreißiger Jahre hinein gab und die mit dem Ende des Industrialismus wieder auftauchte.
Die verschiedenen Formen einer Weltanschauung, die nach dem Fin de Siecle unter dem Slogan Zurück, oh Mensch, zur Mutter Erde firmierten, hatten die Kritik vom technischen Fortschritt und den damit verbundenen Technisierungen und Zivilisierungen zum Gegenstand. In Imperium wird dieses zu einer Theorie, die, sicherlich überzeichnet, nicht nur die Abkehr von der traditionellen Zivilisation, sondern eine Hinwendung zum Vegetariertum, genau genommen der Zuwendung zu einer exklusiven Ernährung durch Kokosnüsse bedeutet. Das alles scheint zunächst kurios, ist aber historisch durch vielerlei absurde Konzepte belegt.
Die Geschichte selbst zeichnet nicht nur das Kolorit des deutschen Kolonialismus in der Südsee, sondern eben auch den Eskapismus bestimmter Bewegungen, die sich in die Kolonien aufmachten, um nach ihren vegetarischen Idealen zu leben. Die von Kracht erzählte Handlung beinhaltet ein einfaches wie vernichtendes Fazit: Besagte Bewegungen hatten weder etwas Anti-Koloniales noch in die Zukunft Weisendes, sondern sie scheiterten allesamt und führten zu manchem Debakel.
Will man die mit der, wie gesagt, es handelt sich um eine Parabel, Botschaft Krachts entsprechend ihrer Aussage redlich umgehen, dann ist es ein deutlich gemeinter Fingerzeig auf das hoffnungslose Unterfangen, mit einer monothematischen Welterklärung der komplexen Existenz der Moderne einen Gegenentwurf zu bringen, so ist dieser auf klägliche Weise zum Scheitern verurteilt.
Die Süffisanz, mit der Kracht ohne Frage die Geschichte erzählt, sei ihm insofern unbenommen, als dass es quasi ein Jahrhundert später wieder derartige Bewegungen gibt, die mit missionarischem Eifer und sektiererischer Schärfe ein Anliegen vortragen, das sich bereits schon einmal als eine klägliche Randnotiz der Weltgeschichte ereignet hat. Die Reaktionen auf das Buch machen deutlich, dass er einen Nerv getroffen hat, der durchaus noch vorhanden ist. Und der Verweis auf die eine oder andere ideologische Entgleisung, die den Renaturierungsbewegungen folgte, ist keine Erfindung Krachts, sondern in den Archiven zu finden. Nicht wenige Mitglieder der Naturzuwender fanden sich nach dem Scheitern ihrer Versuche im ideologischen Amalgam des Faschismus wieder und waren dort wohl gelitten. Nicht, dass das für alle gälte, aber es gab sie eben.
Insofern täte es gut, Imperium, das sich sprachlich von vielen zeitgenössischen Büchern qualitativ immens abhebt, kühlen Mutes zu lesen und die Frage zuzulassen, ob die radikale Vereinfachung eine Antwort auf die Komplexität unserer Welt sein kann.
[*] Diese Rezension schrieb: Gerhard Mersmann (2012-04-08)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.