„Autorenkino auf Papier“, heißt es so schön im Umschlagklappentext und was damit beschrieben werden soll, ist nichts weniger, als eines der bedeutendsten Fotobücher der Milleniumswende über das Paris der Jahrhundertwende. Aber was heißt hier eines? Eigentlich ist „Eyes of Paris“ von Hans-Michael Koetzle mehr als nur ein Fotobuch, vielmehr sind es mehrere Fotobücher in einem . Der zeitliche Rahmen umfasst dabei das Paris ab 1890 bis heute und so wird das „Paris im Fotobuch“ sogar sinnlich erfassbar, das zeigen schon die ersten Seiten.
chapeau, chapeau
„The chapeau Tour Eiffel is provocative but also a souvenir“, steht unter einem S/W-Foto, das eine junge Frau vor dem Eiffelturm zeigt, die eine Replik desselben auf dem Kopf trägt. Als Hut (chapeau) sind aber auch Bücher zu verwenden, wie das Foto daneben zeigt. Ein „chaupeau intellectuel“ sei dekorativ und sehr bildend, heißt es da und wer Journalismus studiert hat, der weiß auch, dass „chapeau“ auch der französischen Ausdruck für Vorspann oder Teaser ist. Also eine Einleitung, das Fettgedruckte zu Paris: intellektuell und provokativ.
…für das Kino im Kopf
Der Herausgeber des mehrere hundert Seiten umfassenden Paris-Fotobuches, von Hans-Michael Koetzle, widmet seinen Beitrag den Regisseuren eines Mythos. Paris – eine Stadt als Kunstwerk von Fritz Stahl ist nur eines der Bücher auf die er sich in seinem Artikel bezieht, der die Geschichte der Konstruktion eines Mythos aufrollt. „A photobook“, zitiert er Ralph Prins, „is an autonomous art form, comparable with a piece of sculpture, a play or a film.“ Ein Fotobuch sei geradezu ein „dramatic event“ und wenn man bedenkt, dass dieser Satz noch aus den Zeiten stammt, als Kinos noch sehr selten waren, ist es sicherlich keine Übertreibung, nein, mehr noch sogar fügt er hinzu: „Cinema`s elastic construction of space, time, and movement prompted a fundamental reconfiguration of the page.“
…dans les Gosses de Paris
Weitere Beiträge stammen auch von Hans Christian Adam, Thomas Wiegand und Christoph Schaden. Die Fotobücher werden fachmännisch aufgerollt und erklärt und haben so illustre Titel wie „Paris vu du ciel“ (Paris vom Himmel aus gesehen), „Das Auge der Liebe“, das eine beinahe nackte Frau zeigt und eigentlich nur sehr wenig von Paris, oder „Pour que Paris soit“ mit vielen Fotos von Robert Doisneau an dem sich – laut Koetzle – allerdings die Geister scheiden würden. Für ein globales Publikum repräsentiere er den Paris-Ikonografen schlechthin, in der akademischen Welt jedoch habe er einen schweren Stand gehabt, so Koetzle weiter. Doisneau gelte nicht als Fotograf, der die künstlerischen Möglichkeiten seines Mediums reflektiert oder gar erweitert hätte. Dennoch sei er besser als sein Ruf gewesen, schließt Koetzle die kurze Kontroverse ab. Ein weiteres Fotobuch, das von ihm vorgestellt wird, heißt nicht umsonst wohl „Gosses de Paris“. Es zeigt die weniger romantischen Seiten der Seine-Metropole, aber die kommen ohnehin nicht zu kurz, denn die vorliegende Publikation ist so ausgewogen und umfassend, dass ohnehin die meisten Facetten der Stadt gezeigt werden. Paris-Liebhaber können sich so einen kritischen Überblick über die am Markt befindlichen Bücher verschaffen und andere Betrachter werden ohnehin Freude mit diesen „Augen auf Paris“ haben, denn sie zeigen ungeschminkt das Leben in einer der Hauptstädte Europas, von der Jahrhundert- zur Milleniumswende.
Beiträge von Hans-Christian Adam, Hans-Michael Koetzle, Christoph Schaden, Thomas Wiegand Gestaltung von Detlev Pusch
400 Seiten, 899 teils farbige Abbildungen
24 x 30 cm, gebunden
ISBN: 978-3-7774-4131-3
49,90 € [D] | 66,90 SFR [CH]
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2011-10-20)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.