Giacomo Puccini (*1858 Lucca +1924 Brüssel) von Zweifeln reinwaschen zu wollen scheint dem Laien ein müßiges Unterfangen, gilt er doch gerade spätestens seit seinem Jubiläumsjahr, 2008, als Operngenie. Doch Klonovskys polemische Druckschrift wendet sich ja auch gar nicht an den Anfänger, vielmehr haben wir es hier mit einer Operngeschichte für Fortgeschrittene zu tun, denn der Autor will sein Objekt der Begierde gegen die wüsten Angriffe seiner Kritiker verteidigen. Nichts läge uns, dem normalen Musikkonsumenten jedoch vorher, hat sich Puccini doch nicht zuletzt mit „Mi chiamono Mimi“ aus „La Bohemè“ in die Herzen der Musikliebhaber aller Welt gespielt und gerade zuletzt bei den Bregenzer Festspielen 2009 mit „Tosca“ für Furore gesorgt. Allen Puccini-Verteidigungen zum Trotz steht dieses Jahr in Bregenz allerdings wieder ein Werk von Giuseppe Verdi auf dem Programm: Aida. Wer sich dafür interessiert, sollte sich so bald wie möglich Karten sichern, denn alle Inszenierungen der Bregenzer Festspiele – ob Puccini oder Verdi – gelten als Publikumsmagneten.
Wobei wir wieder bei der ursprünglichen Frage wären: der zwischen Hoch- und Massenkultur. Was macht einen Verdi gegen Kritik so immun und warum muss Puccini gegenüber Opernkritikern ausgerechnet von Herrn Klonovsky so in Schutz genommen werden? Eine mögliche Antwort darauf gibt evt. Bernhard Neuhoff im BR Klassik: „In Italien standen sich um 1900 Hochkultur und Massenkultur noch nicht so unversöhnlich gegenüber wie in Deutschland und Österreich. Nördlich der Alpen wurde damals entweder avanciert oder massentauglich komponiert: hie Mahler, Schönberg, Strauss; da Lehar und Konsorten. In Italien stellte sich diese Alternative noch nicht. Was auch erklärt, warum es keine italienischen Operetten gibt: In Italien war und ist die Oper ein Volksvergnügen - und wo es Puccini gibt, braucht man keine Operetten.“ Selbiges könnte also auch für Verdi gelten?
Puccini habe die Oper für mindestens hundersiebzehn (sic!) Jahre gerettet, schreibt Klonovsky, „bis diese holdeste und zugleich durchgeknallteste aller Kunstgattungen endgültig zu Tode experimentiert und banalisiert und regietheatergeskapert“ worden sei. Schon in den ersten Zeilen des Autors wird also seine wütende Grundhaltung gegenüber den Puccinikritikern offensichtlich, er will wenn nicht zumindest eine Ehrenrettung so doch zumindest eine Apotheose für sein Idol herbeischreiben. Der Autor gesteht in seinem kämpferischen Ton auch unverfroren ein „entschieden hitz- und starrköpfiger Rangordnungsaufsteller“ zu sein und soviel wollte man von einem Fachmann über ihn selbst eigentlich gar nicht erfahren und auch Phrasen wie „der Verzapfer (sic!) solcher Aussgaen gehöre zusammengehauen“ lesen sich in einem wissenschaftlich daherkommenden Text doch etwas überraschend. Sei`s drum: „Sein Metier nannte er bescheiden“ – und jetzt kommt Klonovsky endlich zu Puccini – „die Darstellung von `großem Schmerz in kleinen Herzen´“. Wer an die Zeilen der Tosca „Gli occhi ti chiuderò con mille baci e mille ti dirò nomi d`amore“ in der gleichnamigen Oper denkt, die sie ihrem Liebsten flüstert bevor er denn doch erschossen wird, wird zumindest diese Aussage Klonovskys gerne unterschreiben. „O Scarpia, avanti a Dio!“ schreit sie, spektakulär an den Bregenzer Festspielen inszeniert, bevor sie sich von der Engelsburg in den Tod stürzt. Klonovskys „Mikrokosmiker der Liebe“ (O-Ton) hätte eigentlich gar keine Verteidiger nötig und wenn schon, dann solche, die weniger polemisch und mehr sachlich daherkämen, mehr über die zu behandelnde Person und weniger über sich selbst sprächen, wobei mir ja gerade die so subjektive Färbung Klonovskys so gut gefällt, ehrlich gesagt.
Das Dasein weniger unerträglich zu machen, ist Puccini - seinem Wunsch gemäß – jedenfalls gelungen. Irgendwie - und da gebe ich Klonovsky recht – sei ja jeder „des Zaubers bedürftig, den der Magier aus Lucca“ anbiete. Wer Puccini höre, schaue immer in den Spiegel, sei so, wie er eigentlich sei, auch wenn noch nicht so, wie diese wunderbare Musik verspricht. „Der erschüttert weinende Mensch hat sich von den Dingen abgekehrt und Fühlung zum Dasein als Ganzem aufgenommen.“ Wem das bei Puccini noch nicht passiert ist, dem unterstelle ich hier tatsächlich Weltfremdheit.
Con passione desperata habe er im Gegensatz zu Massenet seine „Manon Lescaut“ behandelt, wie ein richtiger Italiener eben und nicht mit „Puder und Menuett“ wie es die Franzosen täten. Wie Klonovsky drastisch ausführt würde sogar das Herz eines Roten Khmer von Puccinis Manon-Version erweicht werden. Dem Textbuch von „La Boheme“ wirft Klonovsky zwar dramaturgische Schwächen vor, aber der Bruch der Logik habe dem großen Kunstwerk dennoch nicht shcaden können. Puccini sei kein Geistesmensch (sic!) wie Wagner gewesen, sondern habe eben „emotional und mitunter `unlogisch´“ charakterisiert. In der „Fanciulla del West“ verortet Klonovsky „Sachlichkeit“ und das „quecksilbrige Flimmern“ der Boheme sei passè, die Musik komme endlich zu ihrer Ruhe. Der „Lucceser Prometheus“ hätte sich in seine Figuren immer hineinfühlen müssen, er sei ein „librettoabhängiger Komponist“ gewesen und hätte nur erfinden können, was er auch empfand. Alles in allem sei für Puccini sowohl das 19. als auch das 20. Jahrhundert und erst recht die Moderne ein viel zu enger Rahmen. Einen weiteren schmackhaften Vergleich will ich dem Leser als Appetithäppchen auf Klonovskys glühende Hommage nicht vorenthalten. Im Vergleich zwischen der Minnie aus Fanciulla del West und der Floria Tosca aus der Oper Tosca schreibt er: „Freilich wirkt diese Saloon-Maid, was ihre erotische Ausstrahlung anbetrifft, neben Tosca ungefähr wie Audrey Hepburn neben Emmanuelle Beart.“ Wenn man bedenkt, dass sich eine Maria Callas gerade an der Hepburn als Schönheitsideal maß, dann mag man durchaus verwundert sein. Puccini sei einer der größten Empathiker in der Geschichte der Kunst gewesen und zwar im konventionellen Wortsinne. Selbst die Bestie Scarpia, den Polizeichef in der Tosca, vermöge Puccini als schreckliches Vorbild noch später folgender Schrecken vorwegzunehmen. Klonovsky hat sein Objekt der Begierde sehr subjektiv beschrieben, wie ein echter Italiener eben, con passione desperata…
Michael Klonovsky
Vom Schmerz der Schönheit. Über Giacomo Puccini
2009
Berlin Verlag www.berlinverlage.de
301 Seiten
ISBN: 978-3-8270-0771-1
19,90.-
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2010-03-01)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.