„Havanna“ beschreibt einige sehr persönliche Eindrücke des deutschen Comiczeichners Reinhard Kleist, der unlängst für seinen Band „Cash - I see darkness“ auf dem Internationalen Comic-Salon in Erlangen 2008 mit den Max-und-Moritz-Preis als „Bester deutschsprachiger Comic“ ausgezeichnet wurde. In seiner Hommage an Kuba versucht er nicht nur gängige Klischees über den Inselstaat zu durchbrechen, sondern es gelingt ihm auch in einen ständigen Dialog mit dem Poster-Konterfei Fidel Castros zu treten. Dieser stellt ihm immer wieder herausfordernde Fragen, die Kleist bemüßigt beantwortet, denn auch sein Comic-alter-ego will keinesfalls als politisch unkorrekt oder gar vorurteilsbehaftet erscheinen.
Seine Tagebuchaufzeichnungen sind teilweise sehr charmant, dann wieder nonchalant, denn eine eigentliche Geschichte wird eigentlich gar nicht erzählt, es geht allein um die Darstellung von sehr subjektiven Eindrücken, was die Textkategorie „Tagebuch“ ja so an sich hat. Gezeigt wird nicht nur der kubanische Alltag, etwas das Schlangestehen in der Gelateria „Coppelia“ für ein Eis an der Bar, sondern auch die politische Propaganda auf großen Straßenplakaten mit dem Konterfei des „maximo lider“ Fidel Castro. Die Errungenschaften der Revolution – etwa die Alphabetisierungskampagne – wird aber genauso berücksichtigt, damit man sich ein Bild von einem Kuba abseits gängiger Stereotypien machen kann. Kuba sollte nämlich vor allem an anderen südamerikanischen Diktaturen gemessen werden und nicht mit Europa verglichen werden. Die Gratis-Gesundheitsversorgung wird hier als einer der größten Vorteile des kubanischen Systems hervorzuheben sein.
„Revolucion es no mentir jamas ni violar principios eticos; es conviccion profunda de que no existe fuerza en el mundo capazu de aplastar la fuerza de la verdad y las ideas“, heißt es auf einem übergroßen Wandplakat, die Revolution lügt nicht und verletzt keine ethischen Prinzipien, davor positioniert Kleist eine alternde Frau mit einem Jausepäckchen in der Hand und schreibt darunter: „Die kleine und die große Geste“. Teilweise sind Kleists Momentaufnahmen rein dokumentarische Skizzen, die er mit Kommentaren versieht, so lernt man nicht nur die kubanische Hauptstadt, sondern auch etwas über Geschichte und Bewohner des Inselstaates, denn Kleist berichtet auch von ein paar Ausflügen ins Umland, nach Trinidad zum Beispiel, oder nach Viuales. Besonders fasziniert scheint der Zeichner und Texter Kleist auch von den verschiedenen Gefährten zu sein, von Rikscha bis alter Straßenkutsche a là Chevrolet alles vorhanden. Das in der Verlagsbeschreibung angekündigte Ausklappbild zeigt übrigens den Malecon, die berühmte Uferstraße Havannas, in einer romantischen Abendstimmung mit Fischer, Bettlern und anderen Glücksspielern, die die Straße entlang spazieren. Der diskrete Charme des konkreten Verfalls inklusive. Besuchen Sie Havanna, so lange es noch steht, könnte man das Ausklappbild untertiteln. Reinhard Kleist ist eine unterhaltsame und kurzweilige Graphic Novel gelungen, die sich jeder Kubareisende besser vor seiner Abreise zu Gemüte führen sollte, dann kann das Abenteuer auch wirklich gelingen.
Neben seinen Comicarbeiten schuf der 1970 geborene Reinhard Kleist ürbrigens auch Illustrationen für Bücher von H.C. Artmann und J.G. Ballard und für Plattencover von Terrorgruppe und Bear Family Records. Reinhard Kleist erhielt für seine Comics bereits mehrere Preise, darunter 1996 den Max-und-Moritz-Preis und 2007 den PENG-Preis sowie den Sondermann-Preis für „Cash - I see a darkness“. Als Vorankündigung und in obigem inhaltlichen Zusammenhang erscheint am 01.10.2010 ebenfalls bei Carlsen Comics von Reinhard Kleist Castro im Hardcover. Man darf also gespannt sein, wie seine kubanischen Abenteuer und Dialoge mit dem Posterstar Fidel Castro weitergehen…