Dieses Buch ist eine Streitschrift im besten Sinne des Wortes. Der Publizist Alexander Kissler, der in der Vergangenheit sich schon oft mit differenzierten und pointierten Beiträgen in die politischen und kulturellen Debatten in unserem Land eingemischt hat, nimmt in seinem neuen Buch die Reaktionen der Öffentlichkeit und Politik der westlichen Gesellschaften und Kulturen nach den Pariser Anschlägen auf Charlie Hebdo und einen jüdischen Supermarkt im Januar 2015 genau unter seine kritische Lupe.
Dass schon wenig später ein noch viel schwererer Anschlag von fanatischen Islamisten die französische Weltmetropole treffen würde, konnte er beim Schreiben dieses Buches noch nicht ahnen. Aber ich bin sicher, es hat ihn nicht überrascht. Denn die Reaktionen bisher unterscheiden sich nicht wesentlich von denen im Januar.
Da wird verbal aufgerüstet, es wird nach schärferen Gesetzen gerufen und so die über eine lange Zeit erkämpfte Freiheit der westlichen Demokratien in Frage gestellt. Und damit wird genau in die Falle getappt, die die Islamisten aufgestellt haben.
Doch Alexander Kissler geht es um mehr als nur die aktuelle Analyse. Er verfolgt mit stellenweise bissigen und auch bitteren Kommentaren, hauptsächlich natürlich mit dem Fokus auf Deutschland, wie die Medien, die Politiker, die Kirchen und die Intellektuellen, wenn sie sich denn überhaupt zu Wort melden, lieber eine Position und einen Wert nach dem anderen verwässern oder gar ganz aufgeben, als klar und deutlich zu erkennen und es dann auch auszusprechen, dass durch immer mehr Verständnis dem Islam gegenüber die nötigen Abgrenzungen und Distanzierung ausbleiben und eine Werteposition nach der anderen aufgegeben wird.
Mir persönlich etwa ärgert es zunehmend, dass meine evangelische Kirche, auf deren Liberalität und Humanität ich stolz bin im Zusammenhang mit den Flüchtlingen zur Zeit nur von ihrer genuinen Aufgabe spricht, Fremde aufzunehmen anstatt darauf hinzuweisen, dass sich schon bald moslemische Parallel-Gesellschaften und Kulturen herausbilden werden, die unsere christlichen Werte nicht anerkennen und das auch niemals tun werden. Es gibt kein einziges Beispiel, dass in irgendeinem Land islamische Migranten das getan hätten. Der Reflex, den Kissler scharf angreift, ist der, jede solcher Entwicklungen zu erklären und zu entschuldigen mit Verweisen auf den Kolonialismus und die Unrechtsgeschichte des Westens und seiner jüdisch-christlich geprägten Kultur. Kein Wort hingegen zu Angriffen von Moslems auf Christen in vielen Aufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge.
Kissler zitiert mehrfach unter anderen den linken Philosophen Slavo Zizek, der in seinem Buch "Blasphemische Gedanken. Islam und Moderne " immer wieder betont, dass die auf ihre Sünden regelrecht stolze Larmoyanz des Westens den Feinden des Westens in die Karten spielt. Als Hauptsatz der "politisch korrekten Selbstbezichtigung des Westens" identifiziert er den Satz: "Wenn etwas Schreckliches in der Dritten Welt geschieht, dann muss es auf irgendeine Weise eine Folge des (Neo-) Kolonialismus sein. "
Viele weitere Stimmen von Zeitgenossen ruft Kissler auf, die allesamt stehen für eine aufgeklärte und liberale, demokratische begründete Haltung und Philosophie.
Es ist sowas wie ein Schuldkomplex und stellenweise bis zum Selbsthass sich steigernde der Öffentlichkeit der westlichen Gesellschaften, die seinen erklärten Feinden ein zunehmend leichtes Seite bieten.
Ein Wandel ist dringend nötig: "Der Westen muss wieder fähig werden Auskunft zu geben, jedem und jeder, ueber die Genesen seiner Freiheiten. Er muss neu ausbuchstabieren und verteidigen können, wie er wurde, was er ist: ein Versprechen auf Glück, eine Geschichte von der Würde eines jeden Menschen, die unverlierbar ist, weil jeder Mensch gleich geboren wird, weil jeder Mensch als Person mit einem Schrei ins Leben tritt und noch immer weiß, was er zu Voltaires Zeiten wusste, 'was du nicht willst, das man dir tun soll, das tue du auch nicht.'"
Das, darauf weist der Rezensent hin, steht schon im Neuen Testament. Auch so ein Dokument unserer Kultur, das uns
Orientierung geben könnte, von dem aber immer mehr immer weniger wissen.
Alexander Kissler, Keine Toleranz den Intoleranten, Gütersloher Verlagsanstalt 2015, ISBN 978-3-579-07098-8
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2015-12-02)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.