Unter der Regie von Peter Geyer entstand der Film zu dem Bühnenspektakel „Jesus Christus Erlöser“ (1971), der am 11. Februar 2008 bei der Berlinale uraufgeführt wurde. Wer Klaus Kinski immer noch nicht kennt, wird ihn hier „at his best“ erleben, das Charisma des Schauspielers ist zu diesem Zeitpunkt noch ungebrochen und das Missverständnis eindeutig auf Seiten des Publikums, das ihn mehrmals provoziert und permanent unterbricht. Natürlich werden manche Zuseher die Arroganz ganz auf der Seite des Künstlers sehen, aber dennoch bleibt festzuhalten, dass Kinski eigentlich „nur“ einen Text über den Heiland vortragen wollte und seine Worte vom Publikum auf ihn selbst bezogen wurden, selbst wenn Kinski durchaus auch Zeitbezüge herstellt. „Er trägt nie Uniform und hat keine große Schnauze“ intoniert Kinski und sorgt gleich zu Beginn für erste Tumulte und Widersprüche im Publikum. Der Steckbrief Jesus Christus wird vom Publikum gewollt oder ungewollt auch auf Kinski bezogen.
Besonders das Reizwort „reich“ führt immer wieder zu Unterbrechungen der Performance Kinskis und einzelne Zwischenrufer provozierten ihn dermaßen, dass er einmal sogar seinen Text vergaß, der er übrigens völlig ohne Vorlage rezitierte. Kinski wird mehrmals quasi aufgefordert, doch vor seiner eigenen Haustüre zu kehren und sein Geld herzugeben oder zu verschenken. Das „Schauspiel“ muss selbstverständlich auch im Kontext seiner Zeit gewertet werden: das Post-68er Publikum will den frontalen Vortrag eines der besten zeitgenössischen deutschen Nachkriegsschauspieler nicht akzeptieren und fühlt sich bemüßigt, diesen immer wieder zu unterbrechen oder sogar auf die Bühne zu kommen und das Mikrophon an sich zu reißen. Klaus Kinski bricht seinen Vortrag denn auch zweimal ab und verlangt, die Störenfriede rauszuschmeißen, bis endlich der Theaterdirektor für Ruhe (und auch härteres Durchgreifen) sorgt. Erwähnt werden muss aber auch, dass er das Mikrophon durchaus auch einmal zur Verfügung stellt, auch wenn er das gleich wieder bereut und es jähzornig an sich reißt. „Wäret ihr doch wenigstens heiß oder kalt, aber ihr seid nur lauwarm und ich spucke euch aus!“
In „Jesus Christus Erlöser“ bezieht Klaus Kinski auch Stellung zur aktuellen Politik (Vietnam und Krieg im Allgemeinen) und Gesellschaft und identifiziert sich durchaus auch mit dem Aufrührer, Gottes Sohn, Jesus Christus Erlöser. Die Kinskische Performance ließe fürwahr jeden Artaud, Brecht oder Stanislawski frohlocken, dennoch tritt auch deutlich das „Monstrum Kinski“ hervor, der enttäuscht von seinem Publikum, sich zu manchem „Schnauze halten“ und sogar einem handgreiflich Schubser hinreißen lässt. Enttäuscht ist Kinski vor allem deswegen, weil er sich mit seinem Programm doch eigentlich auf die Seite der rebellierenden Jugend stellt und genau diese rebelliert nun ausgerechnet gegen ihn oder versucht sogar eine Veranstaltung, für die übrigens auch Eintritt bezahlt wurde, in einen Diskussionsabend umzufunktionieren. Wie lächerlich die Ansprüche der 68er teilweise waren wird in vorliegender DVD genauso dargestellt, wie das verstörende Naturell des Schauspielers Klaus Kinski, dem man sogar seine ganze Sympathie geben würde, wenn er sich nur etwas besser in der Hand hätte und kontrollieren würde. Seine akzentuierte Sprache und seine Bühnenpräsenz lassen „Jesus Christus Erlöser“ einerseits zu einem traurigen Abgesang auf eine verlorene Generation machen, andererseits zeigen sich auch das Potential dieses Aufbruchs, der doch auch glücken hätte können, wenn da nicht … „Die Pharisäer haben Jesus wenigstens ausreden lassen, bevor sie ihn angenagelt haben. Dieses Publikum ist weitaus beschissener als die Pharisäer.“ In jedem Fall also, ein ideales Weihnachtsgeschenk für alle diejenigen, die erlöst werden wollen!
Klaus Kinski
Jesus Christus Erlöser
2009
Deutsche Grammophon
DVD 84 min plus Bonusmaterial
Untertitel in Englisch, Spanisch, Portugiesisch, Polnisch, Italienisch
ISBN: 978-3-8291-2310-5
16,99.- Euro
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2009-12-05)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.