Das vorliegende Buch „Anatomie einer Nacht“ ist der bislang dritte Roman der 1997 in Seoul geborenen österreichischen Schriftstellerin Anna Kim. Das eindrucksvolle Buch beginnt seinen Leser schon nach den ersten Seiten zu fesseln. Mit einem ganz eigenen Stil, nüchtern und dennoch dicht, entführt Anna Kim den Leser nach Grönland in die erdachten Stadt Amaraq in ein Land der Extreme, über dem so viel Kälte und Einsamkeit und tröstlicher Zauber zugleich liegen. Dort nehmen sich vom 31. August auf den 1. September mitten in der Nacht elf Menschen das Leben.
Elf Menschen haben sich umgebracht. Elf Tode, die zunächst in keinem Kontext miteinander stehen. Elf Suizide in einer kleinen Stadt, in der eigentlich alle gut miteinander leben.
Geschickt lässt Anna Kim diese Menschen in permanent wechselnden Perspektiven und mit ebenso häufigen Zeitsprüngen ihre jeweilige Geschichte erzählen, eine Geschichte von der Kolonisation des Eigenen durch das Fremde. Immer mehr Zusammenhänge tun sich auf und werden klar und viele bislang völlig unpassende Teile des Puzzles fügen sich ineinander, indem die Autorin behutsam und in eindringlichen Bildern den lebensgeschichtlichen Verzweigungen ihrer Figuren folgt. Und immer mehr wird klar: die Selbstmorde sind Ergebnis all dessen, was sich im sozialen Leben der Menschen der erfundenen grönländischen Kleinstadt ereignet hat. Das gute Leben zeigt eine andere, bislang verdeckte Seite.
Sprachlich auf allerhöchstem Niveau, atmosphärisch dicht wird hier von Liebe und ihrer Verweigerung, von Einsamkeit und Ausweglosigkeit erzählt.
Anna Kim, Anatomie einer Nacht, Suhrkamp 2013, ISBN 978-3-518-46478-6
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2013-12-20)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.