Das Künstlerbuch als solches ist „seit der Dada-Bewegung, seit den surrealistischen Zirkeln eine Bildgattung, die vor allem in der Fluxus-Bewegung der 1960er Jahre, in ihrer Verbindung von Literatur und Bildender Kunst, in einem Entwicklungskontinuum Höhepunkte erreichte“, schreibt Hans Werner Schmidt in seinem Vorwort zu vorliegendem Künstlerbuch von Anselm Kiefer und erteilt damit dem drohenden und seit 30 Jahren viel beschworenen Untergang des gedruckten Buches eine eindeutige Absage. Das Medium sei nämlich eine eigene Artikulationsform und gerade Anselm Kiefer habe diese Kunstfrom neu gedacht und weitergeführt: Malerbuch und Buchojekt, also das plastische Gebilde.
Kiefer bewege sich in „historisch-mythologischen Bildlandschaften“ und bezieht stets auch Zitate von Autorinnen und Autoren in seine Werke mit ein, darunter etwa Sappho, Ovid, Rimbaud, Baudelaire, Rilke, Celan, Bachmann, Chlebnikov, aber auch gewisse Stellen der Kabbala oder der Bibel. Neben die Logik der Worte stellt Kiefer also die Sprache des Bildes. Roland Barthes, der sich in seinen Abhandlungen u.a. sehr mit der Bildsprache der Werbung beschäftigte, reflektierte die eigene Rolle mit den Worten: „Der Professor steht auf der Seite der Lüge und der Irreführung, der Schriftsteller auf der Seite der Wahrheit.“ Anselm Kiefer könnte den Weg dazwischen gewählt haben.
Der in den Trümmern Nachkriegsdeutschlands in Donaueschingen geborene Anselm Kiefer hat Barthes’ Mythen des Alltags in seinen Bildern dekonstruiert und neue Ansätze zur Erfassung der Wirklichkeit geliefert. In Bildern mit Titeln wie „Donauquelle“, „Rhein“, „Hermann’s Schlacht“, „Nibelungen-Lied“, „Siegfried’s Difficult Way to Brünhilde“, „Alarichs Grab“ u.ä. evoziert er Vorstellungsbilder, „deren ritualisierte Erinnerungen und wirksame Emotionen eher entsprechen als ein historischer Diskurs in seiner interpretatorischen Vielfalt“, so Schmidt. Der Mythos der Titel wird von Kiefer dekonstruiert und die grundsätzlich „rechte“ Ausrichtung desselben von Kiefer korrigiert. Im Museum der Bildenden Künste in Leipzig läuft derzeit die erste Ausstellung seit 25 Jahren unter dem Titel „Anselm Kiefer. Die Welt – ein Buch.“ Die Wiener Albertina zeigt seine Holzschnitte noch bis Mitte Juni 2016.
Anselm Kiefer
Die Welt ein Buch
Schirmer/Mosel
[*] Diese Rezension schrieb: jürgen Weber (2016-05-12)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.