736 prall gefüllte Seiten voll Leidenschaft, Liebe, verborgenen Sehnsüchten und einer obskuren Gestalt, die all dies beobachtet, dann aber, im Finale, findet auch dieser Beobachter seinen Weg „nach Hause“, wie letztlich alle Personen im Buch auf dem Weg „nach Hause“ sind, aber nicht alle diesen Weg noch finden oder auch nur vor Augen haben.
In Dublin, der Stadt, in der sie aufwuchs, hat Marian Keyes ihren neuen Roman angesiedelt.
Star Street 66 ist die Adresse des Hauses mit den vier Wohnungen, welches das geographische Zentrum der Handlung bildet.
Vier Parteien wohnen im Haus. Katie von ganz oben zweifelt an ihrer bestehenden Beziehung und fühlt sich stark zu Fionn aus der ersten Etage hingezogen. Ihr Noch-Lebensgefährte ist da schon einen Schritt weiter und hat sich bereits ein stückweit eingelassen auf Lydia aus der zweiten Etage.
Die einzigen, deren vermeintlich heile Welt in Ordnung zu sein scheint, Matt und Maeve aus der Erdgeschoßwohnung, stehen unter dem dunklen Schatten von Ereignissen aus der Vergangenheit, die, plötzlich losgetreten, ihre Beziehung einer fast unerträglichen Belastung aussetzt.
Du dann ist da noch dieser merkwürdige Fremde, der einen ganz konkreten, nicht offen gelegten und dennoch treibenden Auftrag hat. Er beobachtet, er verzweifelt zwischenzeitlich fast, denn er sieht, wie das Vertrauen auch der engsten Beziehung im Hause schwindet und auch Matt und Maeve in den Strudel der zerbrechenden Beziehungen drohen, hinein zu geraten. Dass aber würde seine Bestimmung zerstören.
Mit Einfühlungsvermögen, ihrem bekannten Humor, aber auch mit einem klaren Blick auf die Zerbrechlichkeit von Beziehungen, vor allem da, wo Vertrauen enttäuscht wird, gestaltet Marian Keyes diese Geschichte von Lieb, Verlust und Wiederfinden, in der sich jeder Leser und Leserin in der ein oder anderen Facette wieder entdecken kann. Wie Katie für sich selber Zeiten der Leere, der Zweifel nach ihrer Trennung von Conall erlebt, dass ist intensiv in wenigen Sätzen beschrieben und löst viele Erinnerung an eigenes Erleben aus.
Ebenso, nun anders herum, begleitet sie Matt und Maeve in ebenso intensiver, feinfühliger und präsenter Form durch den Abstieg ihrer engen Beziehung hin zu möglichen Hoffnungen, die sich vielleicht gen Ende des Buches hin erfüllen können. Und immer wieder fällt auf: Stark sind die Frauen im und um das Wohnhaus herum. Stark in der Abgrenzung und stark im Kampf um das, was ihnen wert ist. Jeder der Männer hat zu sehr auch mit sich selber zu schaffen, um die entscheidenden Impulse für das möglich gemeinsame noch setzen zu können. Entwicklungen, die durch die klug gewählten Kapitelüberschriften bereits eine Spannung erhalten. 61 Tage zählt Marian Keyes herunter und so begleitet die Frage, was am Ende des Countdowns den Leser erwartet von der ersten Seite an durch alle Irrungen und Wirrungen des inneren und äußeren Erlebens der Bewohner des Hauses und ihres merkwürdigen Beobachters.
Ein wunderbarer Roman über große Gefühle, haltlose Charaktere, enttäuschte Hoffnungen, auf sich bezogene Menschen und, in all dem, über die kleine Pflanze der Liebe, die sich gegen alle Unwägbarkeiten erhält und zum Ziel findet. Wunderbar.
[*] Diese Rezension schrieb: Michael Lehmann-Pape (2010-09-09)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.