Ernst Bloch war es, der den Begriff geprägt hat. Er sprach von den Nazis und dem Unsäglichen. Die Dimension der Barbarei und Vernichtung hatte eine Tiefe erreicht, die für viele einfach nicht mehr beschreibbar war. Für die Deutschen, die alle unter den Nazis und dem Krieg gelitten hatten, allerdings in den unterschiedlichsten Formen, wirkt das Trauma bis heute, nahezu 70 Jahre nach Kriegsende, nach. Hier herrscht immer noch Sprachlosigkeit und Betroffenheit. Vor allem bei den Formen der Auseinandersetzung mit diesem Kapitel der Geschichte. Außer seriöser Historiographie ist fast nichts erlaubt. Andere Länder hingegen, die ebenfalls schwer unter dem Aufstand der Unmenschlichkeit in großem Maß gelitten haben, haben allerdings vor allem auch in Kunst, Film und Literatur einen unbefangeneren Zugang zu dem düsteren Sujet gefunden. Vor allem, weil Scham und Schuld wohl weniger lähmten. Aus deutscher Sicht ist daher die Frage nicht so ganz profan zu beantworten, ob das geht, einen Kriminalroman über den II. Weltkrieg und die Nazis zu schreiben.
Dass es geht, demonstriert der 1956 im schottischen Edinburgh geborene Philip Kerr seit einigen Jahren. Mit seiner Figur des unangepassten Berliner Kommissar Bernie Gunther hat er schon mehrere Kriminalromane auf den Markt gebracht, die alles andere als eine billige Kolportage darstellen, vor allem in Bezug auf den Alltag in Berlin während der Naziherrschaft, mit allen Widersprüchen, Ekelhaftigkeiten und der aus britischer Sicht redlichen Konturierung auch eines anderen Deutschlands, das auf sich gestellt und zum zwischenzeitlichen Untergang verurteilt war.
Mit seinem neuesten Roman dieser Reihe, A Man Without Breath, betrachtet Philip Kerr die Phase des II. Weltkrieges nach der Niederlage bei Stalingrad 1943 und der Entdeckung der Massengräber hingerichteter polnischer Offiziere durch die Sowjets im Wald von Katyn bei Smolensk. Bernie Gunther wird im Namen einer Kommission gegen Kriegsverbrechen, die es auch in Deutschland gab, im Auftrag von Reichspropagandaminister Goebbels eingesetzt, um eine Show vor einer internationalen Gutachterkommission abzuziehen. Ziel ist, den Ruf der UdSSR massiv bei deren Alliierten zu beschädigen und von den Massakern der Deutschen im Warschauer Ghetto abzulenken.
Vor dem Hintergrund dieser historisch grausamen Geschichte, in der Massenexekutionen während, vor und nach kriegerischen Handlungen an der Ostfront zum Standard auf allen Seiten geworden war, inszeniert Kerr eine Serie von Verbrechen, in deren Aufklärungen Kommissar Gunther quasi verwickelt wird, die mit dem großen Rahmen, dem Krieg und der Vernichtungsmaschinerie natürlich verwoben sind, deren einzelne Delikte jedoch im Vergleich zu der Übergröße der Destruktion von Leben und Zivilisation versinken. Dennoch müssen sie aufgeklärt werden und die Kriminalarbeit nimmt angesichts des Bezugsrahmens immer groteskere Züge an.
Neben einer spannenden und in keiner Weise deplazierten Handlung entsteht ein sehr präzises Bild über das Machtgefüge des NS-Apparates während des Krieges. Kerr gelingt ein sehr gutes und auf auf historische Fakten gestütztes Szenario, in dem übrigens der Widerstand, der mit soviel Pomp bis zum heutigen Tage jährlich gefeiert wird und unter dem Namen von Stauffenberg figuriert, in starkem Maße entheroisiert wird, weil sowohl Nationalismus als auch Formen des Rassismus durchaus zu den tragenden Säulen des ostelbisch-adeligen Widerstandes gehörten.
Bernie Gunther dagegen, der Cop aus Berlin-Mitte, der mit den Nazis nichts am Hut hat, aber überleben will, unterwirft sich nicht. Auf die ihm in Smolensk gestellte Frage, was er mache, antwortet er: Die Russen unterdrücken, nehmen, was nicht Deutschland gehört, Verbrechen in wahrhaftig historischen Proportionen begehen, Juden umbringen, auf industrielle Weise (eigene Übersetzung. Illusionen hat der Mann nicht!
[*] Diese Rezension schrieb: Gerhard Mersmann (2013-11-04)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.