„Die Größe jeder gewaltigen Organisation als Verkörperung einer Idee auf dieser Welt liegt im religiösen Fanatismus, in dem sie sich unduldsam gegen alles andere, fanatisch überzeugt vom eigenen Recht, durchsetzt.“, schreibt Adolf Hitler in „Mein Kampf“ und nimmt damit nicht nur seinen eigenen Aufstieg vorweg, sondern auch den jeder anderen Partei und Ideologie, die an die Macht will. „Eine solche Bewegung gewinne sogar durch Ablehnung von außen, den jede Verfolgung führe nur wieder zu ihrer inneren Stärke“, ergänzt Kellerhoff bedrohlich, denn man denkt an so manche Entwicklungen der Gegenwart, bei diesen Worten. Der Ablauf der urheberrechtlichen Schutzfrist am 31. Dezember 2015 wird zu einer weiten unkommentierten Verbreitung des vermeintlich meistgelesenen Buches des deutschsprachigen Buchhandels führen, deswegen ist es wohl auch so wichtig, dass sich der Historiker Kellerhoff, der schon mit seinem Buch zum Reichstagsbrand für Aufsehen sorgte, sich dem Thema der Karriere des deutschen Buches in seiner neuesten Publikation widmet und die Widersprüche und Selbststilisierung des Autors aufdeckt.
Originalton Hitler mit Kommentaren
„Mythen umranken Hitlers Buch“, schreibt Kellerhoff im Vorwort, und diese „wachsen glänzend auf dem Boden der Unwissenheit“ und deswegen müsse Hitlers Werk dringend entmythologisiert werden. In seiner fünfjährigen Festungshaft, in der er wegen Hochverrat und versuchten Staatsstreichs einsaß, hatte er genügend Gelegenheit das Gefängnis als „Hochschule auf Staatskosten“ zu genießen und verfasste dort im Alleingang den ersten Teil seines Werkes, der sich seiner Jugend, seiner Zeit in Wien („Wiener Lehr- und Leidensjahre“) und München widmet. In den 15 Kapiteln des zweiten Teils geht es dann um die Programmatik der NSDAP. Kellerhof entzaubert den Mythos um das Diktat des „Führers“ an Rudolf Heß, denn „ein in Maschinschreiben geübter Sekretär hätte keinesfalls so viele Tippfehler gemacht“, wie er lapidar anmerkt. Den zweiten Teil habe Hitler dann aber tatsächlich diktiert, dem Ehepaar Büchner ab Mitte August 1925 in einem Blockhaus bei Berchtesgaden. „Mein Kampf“ sei aber weitgehend „Originalton“ wie Kellerhoff schreibt, denn auch wenn er redaktionelle Unterstützung hatte, nahmen diese Mitarbeiter keinen Einfluss auf den Inhalt des Buches. Was den Autor dann zum Kapitel „Quellen“ bringt, denn auf diese hat Hitler weitgehend verzichtet, obwohl es sich für einen „Sachbuchautor“ eigentlich geziemt, zumindest ein Literaturverzeichnis oder Anmerkungen anzugeben. Aber weder darin noch im Lesen sei Hitler besonders qualifiziert gewesen, denn Zeitgenossen attestierten ihm schon in den Zwanziger Jahren ein „hastiges und wahlloses Studium“ und Verachtung für „konzentrierte Lektüre“, wie Kellerhoff zitiert.
Hitler – der späte Antisemit?
In seinem Arbeitszimmer (1922 und 1931) sei ein Porträt Henry Fords gehangen, mit dem sich Hitler bezüglich seines Judenhasses einig war, er habe ihn sogar als „seine Inspiration“ bezeichnet. Natürlich gibt es viele andere Vorbilder von denen Hitler in jener Zeit abgeschrieben oder abgeschaut hatte, aber zumeist seien es ohnehin nur Broschüren zwischen 50 und 100 Seiten gewesen. Seine Lektüre sei „selektiv, willkürlich und vorurteilgesteuert“ gewesen, so Kellerhoff und mache deswegen eine verlässliche Rekonstruktion seiner Gedankengänge unmöglich, aber doch könne man mutmaßen von wem er seine Argumente entlehnt habe, so Kellerhoff weiter. Den größten Platz der 780 Seiten hätten aber ohnehin die Beschimpfungen von Juden eingenommen, die mit gezählten 600 Wendungen im Buch vorkommen. Kellerhoff entzaubert aber auch die Selbststilisierung Hitlers, dass er schon von Anfang an Antisemit gewesen wäre, denn entgegen seinen Behauptungen in seiner Propagandaschrift, weist Kellerhoff nach, dass er eigentlich erst nach der Münchner Räterevolution von 1919 zu einem geworden ist. Hitler habe sogar im Februar 1919 an einem Trauermarsch für den ermordeten jüdischen Kommunisten Kurt Eisner teilgenommen – er war also keineswegs von Anfang an mit einer kohärenten Ideologie ausgestattet wie er selbstherrlich immer wieder in seinen Schriften betont.
Hitler – der Meldegänger
Natürlich verdreht Hitler alles in seinem Buch, so auch seine Rolle im Krieg oder seine vermeintliche Armut. Kellerhoff weist nach, dass Hitler in seiner Wiener Zeit sein Erbe im Gegenwert von immerhin zwei Jahresgehältern verprasste, bevor er zu dem verlumpten Postkartenmaler der Meldemannstraße wurde. Der „ewige Student“, „Drückeberger“ und „Taugenichts“ als der er in seiner Verwandtschaft verschrien war führte tatsächlich – zumindest in seinen Wiener Jahren - das Leben eines Bohemiens und drückte sich sogar erfolgreich vor dem (österreichischen) Militärdienst. Als deutscher Soldat verdiente er sich zwar das Eiserne Kreuz erster Klasse, aber vor allem deswegen, weil er als Meldegänger hinter der Front agierte und sich dort bei den oberen Herrschaften anbiederte. Sein eigentlicher „heroischer Fronteinsatz“ belief sich gerade einmal auf 14 Tage von vier Jahren Krieg. Und bei der DAP – dem Vorläufer der NSDAP – war er keineswegs Mitglied Nr. 7, sondern Nr. 555 – aus Mangel an Mitgliedern hatten die Volksgenossen nämlich erst bei 500 zu zählen begonnen. Hitler war der 54. von 200 DAP-Mitgliedern. Weitere sollten folgen. Einem Hitler?
Sven Felix Kellerhoff
»Mein Kampf« – Die Karriere eines deutschen Buches
Klett-Cotta, 2016, 367 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
ISBN: 978-3-608-94895-0
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2016-08-10)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.