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Rezensionen


 
Daniel Kehlmann - Lob. Über Literatur
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Kehlmann, Daniel - Lob. Über Literatur bestellen
Kehlmann, Daniel:
Lob. Über Literatur

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(Bücher frei Haus)

Der Eindruck, hier handelte es sich um ein lückenloses Panorama der großen Meisterwerke der Literatur, zumindest eine Umschau in Kehlmanns häuslicher Bibliothek, - wobei, in Kontrast zu Marcel Reich-Ranickis „Lauter Verrisse“, „Lauter Lob“ zu lesen wäre, wird von Titel und Klappentext zwar erweckt, trifft es jedoch nicht wirklich. Vielmehr handelt es sich um eine flugs zusammengestellte Essay- und Redensammlung. Nach dem als „Roman“ ausgegebenen Storyband „Ruhm“ von 2009 ebbte das Verlangen nach Neuem vom Autor der „Vermessung der Welt“ (2005) so schnell nicht ab.

Zeitungsrezensionen und Gratulationen, zu Max Goldts Kleistpreis, zu Imre Kertész’ Achtzigstem, dann auch die Dankreden des Autors Daniel Kehlmann auf Klassiker, in deren Namen ihm Auszeichnungen zuerkannt worden waren (Kleist, Thomas Mann). Da wird nicht immer gelobt, sogar bisweilen verrissen. Stephen Kings „Puls“: Den Autor respektiert er an sich sehr, nur dieses Werk nicht. Oder mit Abneigung einstweilen noch herumgedruckst: Thomas Bernhard, den Daniel Kehlmann nicht leiden kann, menschlich nicht, beim Schreiben auch nicht. Von J. M. Coetzee, dem Autor, den er den besten lebenden in englischer Sprache nennt, bespricht er „Tagebuch eines schlimmen Jahres“ und erlaubt sich, milde Enttäuschung zu artikulieren.

Schön wäre, wenn sich wundergleich dieses Sammelsurium zu einem eigenen, stimmigen Korpus fügte. Aber wie sollte das gehen? Truman Capotes journalistische Schriften, Becketts Romane, das verfluchte pseudo-linke, pseudo-moderne Regietheater, was eint sie thematisch? (Kehlmann wird weiter seine Scharte auswetzen müssen, sein Regisseur-Vater war vom Theater- und Fernsehbetrieb Jahre vor seiner Demenzerkrankung und seinem Tod als „überholt“ aufs Altenteil verbannt worden.) Auskünfte über Kehlmanns Schreibtechniken gibt uns ein vergnügliches Interview, das er mit sich selber führt. Insgesamt mutet die Zusammenstellung sprunghaft an, ist aber unterhaltsam zu lesen.

Als Überflieger freut Kehlmann sich etwas zu oft und zu stark seiner Fähigkeit, „Welt allein durch Sprache zu generieren“. „Ich kann alles erfinden, wie ich Lust habe“, scheint er zu meinen. Einmal erzählt er, in seinen Zwanzigern, habe er noch lernen müssen, dass jede Geschichte ihrer eigenen inneren Notwendigkeit bedürfe. Ein Kritiker hätte gemahnt: „Das ist gut erzählt, aber man weiß gar nicht, warum du es erzählt hast.“ Ihn hätte das gewundert. „Es reicht ja, wenn ich es kann und wenn die Leute sehen, dass ich es gut mache!“

Hier offenbart sich das grundsätzliche Problem bei diesem Schriftsteller. Er kann sich vertrackte erzählerische Mechanismen ausdenken, er kann den Leser elegant bezaubern und in die Irre lenken, aber er schreibt ohne innere Bindung an irgendwas, ein Menschenbild, eine Utopie, eine Familie oder Klasse geliebter Menschen, seine eigene Lebensgeschichte, eine brennende Wut. Er schreibt gut, weil er es eben kann. Er wird gelesen, weil die Zeit beim Lesen angenehm verstreicht.

Weil er aber der Techniker-Wunderknabe ist, ein extrem belesener Nerd des Literatur-Simulierens, eignet sich Kehlmann für die Aufgabe eines Reisebegleiters durchs Reich der Bücher wunderbar. Er war schon überall, er kann zu allem was Kluges sagen, er ist gescheit, er versteht, makellos zu formulieren. „Lob“, eigentlich Verlegenheitswerk, ein Füllertitel in seinem Katalog, ist darum zu einem der besten Bücher geworden, das man von Daniel Kehlmann kaufen kann. Man wird es nicht bereuen.

Zitat:

Nicht um die Antike ging es Heinrich von Kleist, auch nicht um die Natur, deren Blütenschönheit in seinem Werk kaum eine Rolle spielt, sondern ums Gesetz. Viel ist geschrieben worden über die Krise, die ihn angeblich bei der Lektüre Kants erfaßte – aber die Wahrheit ist womöglich einfacher und komplizierter zugleich. Kleist und Kant stammten aus derselben preußischen Welt. Die Idee, daß die Vernunft mit stärkerer Stimme als jeder Offizier Forderungen stellt, sie war Kleist vertraut, nicht durch Kant, sondern wie diesem, aus gleicher Quelle und gleichem Erleben. Nicht umsonst empfahl Ernst Bloch seinen Studenten, Kleist zu lesen, um sich an Kant zu gewöhnen. Schließlich schrieben beide die gleichen schier endlos langen, federnd kraftvollen, von immer neuen Einschüben gedehnten Sätze, die ihre Herkunft aus der Sprache des Rechts nicht verleugnen.


[*] Diese Rezension schrieb: Klaus Mattes (2015-06-01)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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