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Daniel Kehlmann - Ich und Kaminski
Buchinformation
Kehlmann, Daniel - Ich und Kaminski bestellen
Kehlmann, Daniel:
Ich und Kaminski

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(Bücher frei Haus)

Der Ich-Erzähler, Sebastian Zöllner, Kunstkritiker, ist ein derart taktloser Typ, dass er sogar den Titel des Buches mit sich selbst beginnen lässt, dabei ist Manuel Kaminski einer der bedeutendsten Maler des zwanzigsten Jahrhunderts gewesen. Den er als großen Fisch an der Angel zu haben gedenkt, während er in Kaminskis alpines Höhenhaus reist, wo der verstummte Kunstgigant von seiner Tochter abgeschirmt wird, seit er, wegen Erblindung, die Malerei nicht länger ausübt.

Oder doch nicht Erblindung? Das fragt sich bald, als es dem unverschämten Möchtegernbiografen Zöllner gelungen ist - nachdem er sämtliche Zimmer der Villa durchwühlt und eine verschlossene Briefmappe aufgeschlitzt hat -, den gebrechlichen Alten zu einer Autofahrt durch halb Europa zu überreden, damit Kaminski seine einstige Jugendgeliebte Therese wiedersehen kann. Was sich im von Zöllner angedachten Kunstgeschichte-Standardwerk wohl gut machen dürfte.

Ganz zu Recht ist dieses fünfte Buch Daniel Kehlmanns noch vor „Die Vermessung der Welt“ zum Achtungserfolg geworden und konnte lukrativ ins Ausland verkauft werden. Dass es trotz des anschließenden Superdurchbruchs immer noch bis ins Jahr 2014 dauern musste, bevor mit Daniel Brühl als Zöllner und unter der Regie Wolfgang Beckers der Kinofilm zum Buch entstanden ist, erstaunt einen angesichts des filmreifen Buddygespanns aus jungem Trickster und altem Schlitzohr, der „Road Movie“-Struktur des Romans und einem tatsächlich „filmreifen“ Ende.

Hier glänzt Kehlmann als amüsanter Unterhalter. Mit „echter Kunst“ hat das Ganze allerdings nichts zu tun, ein halbwegs spannendes und immer wieder einmal ziemlich amüsantes Unterhaltungsbuch, wenn auch eines von Suhrkamp. Bis fast ans Ende kann man sich nicht ausrechnen, was der Autor mit dem seltsamen Männergespann eigentlich vorhat. Wer anderes von Kehlmann kennt, würde darauf wetten, dass alles sich wieder entweder als Traum oder als „Buch“ entpuppen wird, dann kommt es doch anders.

Manches ist überflüssig. Vor vielen Jahren soll der Malergigant bei der Besichtigung eines südfranzösischen Salzbergwerks vom Weg abgekommen, tagelang verzweifelt in der Dunkelheit umhergeirrt und als Blinder aufgefunden worden sein. Dass nun dem Biograf bei seinen Recherchen für die geplante Monografie dasselbe zustößt, nein, nicht wirklich, aber so lebhaft imaginiert wird, als geschehe es zum zweiten Mal: Musste das denn sein? Wohl ebenso wenig wie jenes uralte Bunuel’sche Kabinettstückchen vom Träumer, der aus einem Horror erwacht, ach so, ein Traum alles, aber schon wieder in einem anderern steckt, aus dem er alsbald hochschreckt, nur um dann wieder ... (Sie können es sich denken.)

Viel vergnüglicher das mysteriöse Auftauchen und Verschwinden einer Nebenfigur wie Karl Ludwig. Irgendwo on the road steht der wie aus dem Boden gewachsen neben der Autobahn, schäkert mit dem Blinden, wird von ihm („Das ist immer noch mein BMW“) mitgenommen und führt alsbald Gespräche mit Kaminski über Hieronymus Bosch, denen der junge Kunsthistoriker am Steuer nicht mehr folgen kann. Ob der Mann auf dem Baum im „Garten der Lüste“ ein Selbstporträt des Teufels sei? Aber das sei ein Selbstporträt Boschs, sagt Kaminski. Das schließe einander ja nicht grundsätzlich aus, meint Karl Ludwig. An der nächsten Raststätte reißt er sich Kaminskis BMW unter den Nagel und flitzt davon. Es wird nun doch noch eine Bahnfahrt bis zum Meer.

Kehlmann, dessen Bücher ja oft aus der Ich-Perspektive eher fragwürdiger junger männlicher Charaktere erzählt werden, hat hiermit den bisher wohl ekligsten Erzähler seines Werkes geschaffen, sich damit allerdings gewisse Probleme einer Darstellungskunst des Unausgesprochenen eingeheimst. Ein bei aller Rücksichtslosigkeit mit etlichen Wässerchen der Raffiniertheit gewaschener Erzähler bindet dem Lesern nicht schon am Anfang auf die Nase, warum alle so wenig Lust haben, sich mit ihm zu unterhalten. Was für eine Figur Zöllner ist, merken wir an Stellen wie der folgenden, von der ich auch sagen würde, wer so was liest, liest die nächsten zehn Seiten gewiss auch noch gern.


Zitat:

Was erwartete sie? Sollte ich weinen, schreien, bitten? Dazu war ich durchaus bereit. Ich dachte an ihre Wohnung: den Ledersessel, den Marmortisch, die teure Couch. Die Zimmerbar, die Stereoanlage und den großen Flachbildfernseher. Sie hatte wirklich jemanden getroffen, der ihr Gerede über die Agentur, über vegetarische Ernährung, Politik und japanische Filme anhören wollte? Schwer zu glauben.

„Ich weiß, daß das nicht leicht ist“, sagte sie mit brüchiger Stimme. „Ich hätte es dir auch nicht ... am Telefon gesagt. Aber es gibt keinen anderen Weg.“
Ich schwieg.


[*] Diese Rezension schrieb: Klaus Mattes (2014-11-16)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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