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Jessica Keener - Schwimmen in der Nacht
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Keener, Jessica:
Schwimmen in der Nacht

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(Bücher frei Haus)

Fast achtzehn Jahre hat sie nach den Angaben des Verlags auf der Umschlagseite des vorliegenden Buches an diesem Roman gearbeitet, die in der Nähe von Boston aufgewachsene und heute wieder dort lebende amerikanische Schriftstellerin Jessica Keener.

Wenn man die in dem Roman – es ist ihr erster nach vielen und oft auch preisgekrönten Erzählungen – erzählte autobiographisch geprägte Geschichte bis zum Ende gelesen hat, bekommt man auch eine Ahnung, warum die literarische Bewältigung der eigenen Kindheitserinnerung von so vielen Unterbrechungen und Schreibhemmungen behindert wurde, bis es Jessica Keener gelang, die psychische Kraft zu mobilisieren, um sich dem Drama ihrer Familie, insbesondere ihrer Mutter zu stellen, ohne daran selbst zu zerbrechen.
Die Andeutungen, die sie dazu in den Danksagungen am Ende des Buches macht, geben einen Hinweis darauf.

Doch man merkt dem Buch auf keiner Seite an, dass es aus so vielen Einzelteilen zusammengesetzt ist. Sprachlich auf hohem Niveau, mit vielen traumähnlichen Bildern durchwebt, erzählt dieser Roman die Geschichte der ich-erzählenden Sarah Kunitz. Sarah ist fünfzehn, sie ist Jüdin, doch außer an den hohen Festtagen spielt die jüdische Religion in der Familie keine Rolle. Dafür wird um so mehr auf Bildung wert gelegt, nicht nur, weil Sarahs Vater Leonhard Hochschullehrer ist. Er unterrichtet englische Literatur und so sind Shakespeare und andere fast tägliche Gäste im wohlhabenden Haus der Kunitz.

In diesem Haus werden regelmäßig rauschende Partys gefeiert, immer wieder kommen Gäste auch zu kleineren Events, und besonders Sarahs Mutter sonnt sich im gesellschaftlichen Leben des Städtchen Soquaset in Massachusetts. All dieser Glamour nach außen kann aber auf Dauer nicht die Probleme von Sarahs Eltern überdecken, die sie schon seit vielen Jahren spürt, die nun aber, da sie in die Pubertät gekommen ist, auch für sie offensichtlich sind. Ihre Eltern sind nicht glücklich. Sie trinken beide regelmäßig und immer zuviel Alkohol, niemand ist vor den cholerischen Gefühlsausbrüchen des Vaters sicher. Aber auch nicht vor den nicht weniger zerstörerischen Depressionen der Mutter, die sie mit unglaublich viel Alkohol und Tabletten zu übertünchen sucht. Die Kinder leiden und flüchten. Sarahs älterer Bruder Peter in die Musik, ihr jüngerer Bruder Robert in die Welt der Fantasyliteratur und auch der kleine Elliott baut sich mit seinen Spielsachen seine eigene Welt.

Als die Mutter, wohl betrunken, bei einem Verkehrsunfall ums Leben kommt, nachdem sie einen ähnlichen Unfall erst wenige Wochen vorher knapp überlebt hatte, stürzt dieses wohl suizidale Vorkommnis die ganze Familie in eine tiefe Krise. Sie droht zu zerbrechen. Aber sie reden nicht darüber.

Sarah erlebt in ihrer Schule antisemitische Anfeindungen und lernt mit dem etwas älteren Anthony die Liebe kennen. Sie wird nach dem Tod der Mutter in eine Rolle gedrängt, sie sie auszufüllen versucht, die aber zu schwer für sie ist. Sie kann ihren Brüdern nicht die Mutter ersetzen, obwohl sie sich rührend um sie kümmert und auch immer wieder mit den ständig wechselnden Haushälterinnen der Familie guten Kontakt hält.

Jeder auf seine bewundernswerte Weise befreien sich die Kinder der Familie Kunitz aus dieser dramatischen und erstickenden Familiengeschichte. Auch Sarah tut es, indem sie immer wieder versucht, sich schreibend zu vergewissern, was vorgefallen ist um sich so irgendwann den Freiraum für ein eigenes, von der Vergangenheit nicht mehr belastetes eigenes Leben zu schaffen. Und dann ist es soweit:
„… auf einmal bin ich stärker als der Schatten, in dem ich lebe (…) Ich singe von Berghängen und Himmelsblau, und weiter die Tonleiter hinauf vibriert meine Schädeldecke bei den hohen Tönen, wenn ich jenseits von Zeit und Raum meiner Mutter begegne, ihr makelloses, von der Melodie verzücktes Gesicht spornt mich an. Ich singe, bis die Mauern verschwinden… “

Ein wunderbarer, sehr gelungener Debütroman, der erzählt von der Kraft und der Macht der Liebe und der Musik und wie sie beide Menschen helfen, sich von traumatischen Erinnerungen zu befreien.

Jessica Keener, Schwimmen in der Nacht, C.H.Beck 2014, ISBN 978-3-406-65939-3

[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2014-02-24)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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